Von Pulpern, Tambouren und Zellstoffen: Ein Besuch in einer Papierfabrik soll Hürden abbauen

 

Wer schon immer einmal wissen wollte, wie Papier hergestellt wird, ist in der Papierfabrik NK Paper im Berliner Stadtteil Neukölln genau an der richtigen Adresse. Zusammen mit Vertretern der Interessenvertretung Selbstbestimmt Leben in Deutschland e.V. (ISL) und mehreren Auszubildenden des Annedore-Leber-Berufsbildungswerks (ALBBW) habe ich mir den Prozess der Papierherstellung mal genauer angeschaut – und das mit vielen Aha-Momenten.

„Alle 20 Minuten haben wir einen Energieverbrauch eines Vier-Personen-Haushalts“, sagt Tony Handke, eher beiläufig. Der Diplom-Ingenieur, der im Bereich Entwicklung und Technologie bei NK Paper arbeitet, steht mit etwa 15 Leuten in einem kleinen, schallgeschützten Kontrollraum. Zwei Mitarbeiter sitzen vor mehreren, blinkenden Bildschirmen und überwachen das Papiermaschinenungetüm, welches selbst durch die große Fensterscheibe noch einschüchternd wirkt und außerhalb des kleinen Raumes eine Geräuschkulisse verursacht, dass man sein eigenes Wort nicht versteht.

Im Rahmen des Inklusionsprojektes BIRLIKTE von der Interessenvertretung Selbstbestimmt Leben [ISL] in Deutschland e.V. sind wir, das heißt, mehrere Auszubildende des Annedore-Leber-Berufsbildungswerks (ALBBW), Mitarbeiter der ISL und meine Wenigkeit zu Besuch bei NK-Paper, einer Papierfabrik im Stadtteil Neukölln, die sich auf die Herstellung von speziellem Tapetenpapier und Kaffeefilter fokussiert hat.

Schon zu Beginn der Werksführung staune ich nicht schlecht, als ich im hinteren Teil einer vollen Rohstoffhalle (zu sehen sind aufeinandergestapelte Zellstoffballen) ein riesiges Stahlgefäß entdecke – welches mich ein wenig an einen überdimensional großen Hexenkessel erinnert. Wir erfahren, dass in diesem sogenannten Pulper, Wasser mit Zellstoff vermengt und zu einem Faserbrei verrührt wird. Dem Grundelement von Papier. „In diesem Stadium besteht der Brei noch zu über 90 Prozent aus Wasser und nur zu 0,05 Prozent aus Faserstoff“, erzählt Handke und geht mit dem größeren Teil der Besuchergruppe über eine Treppe in den zweiten Stock der Fabrik. Ich und zwei meiner Rollstuhlkollegen werden durch den Mitarbeiter Marc Paul – der die Führung ebenfalls begleitet – über einen alten Lastenaufzug in den zweiten Stock gebracht.

Oben angekommen, verspüre ich schnell einen deutlichen Temperaturanstieg. „Gerade im Sommer fühlt man sich hier wie in der Sauna, sagt Paul und schmunzelt, während wir uns wieder unserer Gruppe anschließen. Aber auch die Geräuschkulisse hat sich aufgrund der sehr lauten Papiermaschine, die im Hintergrund arbeitet, geändert. Aus Sicherheitsgründen bekommt jeder Einzelne von uns daher zunächst einen Gehörschutz.

Ab ins Tampour

Die Maschine, die uns dann gezeigt wird, ist so groß und mit mehreren Einzelstationen für verschiedene Arbeitsprozesse versehen, dass es für uns unmöglich ist, sie aus der Nähe mit bloßem Auge zu erfassen. Zur besseren Verständigung werden wir in den kleinen, schallgeschützten Kontrollraum geführt. Durch die großen Fensterscheiben fallen mir vor allem die großen Walzen auf, mit denen die Maschine gespickt ist. Ich erfahre, dass diese Walzen in der sogenannten Pressenpartie zum Einsatz kommen und dafür sorgen, dass der in dem Pulper hergestellte Faserbrei hier weiter entwässert wird, so dass er nun einen Trockengehalt von circa 50 Prozent aufweist. „Dann kommt die sogenannte Trockenpartie, in der das Papier über dampfbeheizte Trockenzylinder weiter getrocknet wird, so dass es zum Schluss einen Trockengehalt von 95-98 Prozent hat. Ein ganzes, von der Stadt betriebenes Kraftwerk sorgt dabei für ausreichend Dampf, um die Trocknung zu gewährleisten“, sagt Handke und zeigt auf den hinteren Teil der Maschine.

Aus dem kleinen Kontrollraum heraus, werden wir in den hinteren Teil der Halle und in einen ebenfalls kleinen, klimatisierten und abgeschotteten Raum geführt, der ein wenig wie ein Chemielabor anmutet. Und tatsächlich: Hier wird das fertige Papier bzw. dessen Eigenschaften noch einmal überprüft. „Wir können hier beispielsweise den Weisheitsgrad des Papieres oder dessen Dicke und Strukturbeschaffenheit messen“, so Handke. Um die Ergebnisse nicht zu verfälschen, sei es jedoch wichtig, den Raum klimatisiert zu halten und beim Betreten und Verlassen des Raumes schnell die Tür hinter sich zu schließen.

Nach dem Labor werden wir schließlich noch zum sogenannten Tambour geführt. Das heißt, die Papierbahn wird zu einer großen Rolle aufgerollt, am sogenannten Umroller auf die vom Kunden gewünschte Breite geschnitten, schließlich auf einem großen Drehteller eingewickelt und für den Transport an den Kunden fertig gemacht. Die fertigen Waren, werden zunächst ins Warenlager gebracht und dann mit einem LKW verschickt. Das Fertigwarenlager, in dem sich unsere Gruppe am Ende der Führung zusammenfindet, ist wie das Rohstofflager ebenfalls sehr voll. Überall ist aufgerolltes, eingewickeltes und transportfertiges Papier zusehen – wie wir erfahren insgesamt 3000 Tonnen. Nun kann ich mir zumindest vorstellen, was hinter diesen Tonnen steckt, nämlich ein Pulper, Zellstoffe und Tambouren.

Die Auszubildenden des ALBBW konnten bei dieser Werksbesichtigung die vielfältigen Produktionsschritte und Aufgabengebiete kennenlernen. Damit wurde ein weiterer Kontakt zwischen dem Berufsbildungswerk für behinderte Menschen und der freien Wirtschaft geknüpft.  Sigrid Arnade, Projektleiterin von BIRLIKTE und Teilnehmerin der Besuchergruppe betont in diesem Zusammenhang: „Mit diesem Treffen wollen wir zwischen Arbeitgebern und behinderten Menschen mit und ohne Migrationshintergrund, die einen Job suchen, vermitteln und einen Erstkontakt herstellen und so sprichwörtlich eine Rolle vorwärts in die Inklusion machen“. Nur durch „ein persönliches Kennenlernen könnten Hürden abgebaut und die Kompetenzen statt Einschränkungen der Menschen erkannt werden“, so Arnade weiter.

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