Wenn der Rollator Ärger macht

Der Rollator im Treppenhaus – ein „Dauerbrenner“ in der juristischen Fachdiskussion mit erheblichen Auswirkungen für geh- und stehbehinderte Menschen

Nur wenige geh- und stehbehinderte Menschen verfügen über genügend Einkommen, in einer barrierefreien Wohnung mit großzügigen Stellflächen – wie sie heute im Betreuten Wohnen üblich sind – zu wohnen. Oftmals ist die genutzte Wohnung nur teilweise oder gar nicht barrierefrei. Insbesondere viele ältere Menschen, welche noch einige wenige Schritte gehen können, möchten ihren Lebensmittelpunkt wegen einer leichten Gehbehinderung nicht ändern. Der geliebte Berliner Kiez mit den bereits bekannten Einkaufsmöglichkeiten, vertrauten Nachbarn und Lokalitäten, soll nicht aufgegeben werden. Doch was ist zu tun, wenn im vertrauten Kiez barrierefreie Wohnungen nicht vorhanden oder unbezahlbar sind?

Provisorische Lösungen

Die Praxis behilft sich hier häufig mit provisorischen Lösungen. Hierzu gehört u. a. einen Rollator oder ein sperriges Elektromobil im Treppenhaus abzustellen, um die wenigen Stufen zur eigenen Wohnung dann mit Hilfe von Pflegekräften, Abstützen am Geländer u. ä. zurückzulegen. Diese auf den ersten Blick recht praktikable Lösung hat Anlass zu umfangreichen juristischen Diskussionen gegeben (s. hierzu aktuell Dr. Michael J. Schmid: Der behinderte Mieter in der Wohnungseigentumsanlage, NJW 2014, 1201 sowie Dr. Peter Derleder: „Rollatoren-Park” im Mietshaus oder: Der Anspruch auf „Barrierefreiheit” der „restmobilen Altenbewohnerschaft”, NZM 2006, 893). Nur eine der in diesem Kontext aufgeworfenen Fragen soll hier genauer dargestellt werden, um den Artikel für juristische Laien verständlich zu halten.

Ein Mieter ist grundsätzlich berechtigt, einen Rollator oder ein Elektromobil im Hausflur abzustellen, wenn er hierauf angewiesen ist und die Größe des Hausflurs das Abstellen zulässt. Dies hat der Bundesgerichtshof in einer das Verteilen von Werbematerial betreffenden Entscheidung am Rande ausdrücklich festgestellt. Dem entsprechen auch weitere Entscheidungen des LG Hannover: Urteil vom 17.10.2005 – 20 S 39/05, NZM 2007, 245 sowie aktuell des AG Recklinghausen: Urteil vom 27.01.2014 – 56 C 98/13, IMR 2014, 327. Damit ist allerdings noch nicht die Frage beantwortet, was passieren soll, wenn das Treppenhaus – wie in Berliner Mehrfamilienhäusern oftmals der Fall – dies nicht eindeutig zulässt. Viele Berliner Hausflure sind klein und werden schon durch andere Mieter genutzt. Wie ist also zu entscheiden, wenn das Treppenhaus nicht groß genug ist, um einen Kinderwagen und mehrere Rollatoren oder Elektromobile gleichzeitig zu beherbergen?

Mutige Entscheidung

Das Amtsgericht Hannover (AG Hannover: Urteil vom 13. Mai 2005 – 503 C 3987/05, NJW 2006, 3359) fordert in diesem Fall mutig, dass der Vermieter – soweit es sich um eine Wohnungsbaugenossenschaft handelt – zur baulichen Umgestaltung verpflichtet sei. Ihn treffe eine besondere Fürsorgepflicht gegenüber seinen Genossenschaftsmitgliedern, weil diese durch den Kauf eines Genossenschaftsanteils ein besonderes Vertrauen genießen.
Für Wohnungsbaugenossenschaften mag diese Rechtsansicht durchaus überzeugen. Doch den Vermieter in Gestalt einer Privatperson oder eines Investors, welcher keine Genossenschaftsanteile zu verkaufen hat, dürfte eine solche Fürsorgepflicht nicht treffen. Es kollidieren dann die Rechte des gehbehinderten Mieters aus § 554a Abs. 1 S. 1 BGB, Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG, Art. 14. Abs. 2 GG mit den Rechten des Vermieters aus § 903 S. 1 BGB, Art. 14 Abs. 1 GG.

Einzelfall entscheidet

Eine Lösung kann nur im Wege eines einzelfallbezogenen Interessenausgleichs gefunden werden. Konkret sind dafür folgende Fragen zu beantworten: Wie schwer sind die Gehbehinderungen der einzelnen Mieter? Wie raumausfüllend sind die benötigten Hilfsmittel? Wie klein sind die Kinder, welche einen Kinderwagen benötigen? Können diese schon ein paar Schritte gehen oder müssen sie immer getragen werden?

Je schwerer die Gehbehinderung und je geringer das Interesse der anderen Mieter an der Benutzung des Treppenhauses durch das Abstellen eines Kinderwagens, eines weiteren Rollators etc. ausfällt, desto stärker wird der Anspruch des gehbehinderten Mieters auch  in den Fällen einer mehrfachen Nutzung von gemeinschaftlichen Flächen in einem Gebäude, seinen Rollator oder Elektromobil abstellen zu dürfen.

Über die Autorin: Stephanie Claire Weckesser ist Rechtsanwältin in Berlin. Sie ist überwiegend im Miet-, Wohnungseigentums- und Immobilienrecht tätig. Weitere Tätigkeitsfelder sind Feststellungsverfahren nach dem SGB IX, Verfahren zur Erlangung von Erwerbsunfähigkeitsrente, Einstufung in die Pfegeversicherung sowie steuerrechtliche Fragen zur Krankheit und Behinderung. Ihre Kontaktdaten sind: Kronprinzendamm 3, 10711 Berlin, Tel.: 030/36409861, www.scweckesser.net.

Rechtsberatung: Zwei Rechtsanwälte, Dr. Theben und Felix Tautz, stehen für eine kostenlose Erstberatung zur Verfügung. Die Rechtsberatung ist nur für Mitglieder des Berliner Behindertenverband e.V. kostenlos. Wer Interesse an einer Beratung hat, wird gebeten, sich vorab telefonisch (Tel.: 030/204 38 47) anzumelden. Anmeldungen sind zwingend notwendig. Die Beratungstermine finden in den BBV e.V. – Räumlichkeiten statt. Adresse: Jägerstraße 63 D, 10117 Berlin (barrierefreier Zugang und Toilette).

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