Die Sparkasse, und wer dann….?

Barrierefreiheit und der Dienstleistungssektor

Von Christian Grothaus

Seit der Unterzeichnung der UN-Behindertenrechtskonvention im Jahr 2009 besteht in Deutschland eine rechtliche Verpflichtung zur Herstellung von Barrierefreiheit. Es gibt jedoch viele gesellschaftliche Bereiche, in denen dieses Thema keine große Rolle zu spielen scheint. Insbesonders vom Dienstleistungssektor ist hier die Rede. Vereinzelt gibt es jedoch Lichtblicke, wie etwa die Berliner Sparkasse, die als Vorreiter dienen könnte.

Kürzlich trafen sich Vertreter des BBV und Vertreter anderer Organisationen, wie etwa Gerlinde Bendzuck, von der Landesvereinigung Selbsthilfe Berlin e.V., mit Vertretern der Berliner Sparkasse, um das neu geplante Kundenleitsystem in punkto Barrierefreiheit genauer unter die Lupe zu nehmen. Peggy Lehmann, eine Mitarbeiterin in der Abteilung Geschäftsfeldentwicklung Private Kunden der Sparkasse, sagte zu Beginn des Expertenaustausches: „Unser Anliegen mit dem neuen System ist es, die Nähe zum Kunden zu stärken. Es ist geplant, das neue Kundenleitsystem in den nächsten Jahren in 20 bis 25 Filialen mit hohem Kundenaufkommen zu etablieren. Die erste Sparkasse dieser Art ist auf der Karl-Marx-Straße zu finden“. Am Alexanderplatz sei eine weitere Eröffnung diesen Februar geplant.

Und so sieht die Grundidee des Kundenleitsystems aus: Der Kunde wird durch ein neues elektronisches Ticketsystem besser zugeteilt. Es erlaubt ihm sein Anliegen durch eine Menüauswahl zu spezifizieren. Hiernach wird er mit einem ihm zugewiesenen Ticket in einen Warteraum geführt und via Monitor aufgerufen.

Dabei sei es aber wichtig, so Lehmann, dass der Kunde sich gut zurechtfindet – und dass schon beim Betreten der Filiale. Daher wurden die unterschiedlichsten Ideen und Orientierungshilfen für Kunden mit Behinderungen diskutiert: Die Installation eines Bodenleitsystems für Blinde- und Sehbehinderte Menschen (zum Beispiel sogenannte Kontraststreifen), die akustische Unterstützung der elektronischen Bedienmonitore für Taube- oder Hörgeschädigte sowie die Möglichkeit entscheidende Kundengeräte wie Geldautomaten oder das Ticketsystem für Rollstuhlfahrer unterfahrbar zu gestalten. Die Behindertenvertreter regten außerdem an, eine Broschüre als haptischen Flyer und auf der Homepage bereitzustellen, die behinderungsrelevante Informationen übersichtlich beinhaltet: Welche Filialen sind stufenlos erreichbar? Gibt es vielleicht einen Gebärdendolmetscher vor Ort? Sind Induktionslautsprecher für Hörgeschädigte vorhanden?

Der rollende Euro

Die Barrierefreiheit im sogenannten Sparkassenbus als die „mobile Filiale“ war ebenfalls Thema. Perspektivisch soll auch dieser Dienst so umgerüstet werden, dass er von Menschen mit den unterschiedlichsten Behinderungen genutzt werden könne, so Jens Dombrowski ebenfalls Sparkassen-Mitarbeiter. Als eine Herausforderung kristallisierte sich während des Gesprächs vor allem dessen Eingangsbereich heraus. Das skizzierte Fahrzeugmodell hat eine Bodenhöhe von 50 cm – zu viel für eine flache, für Rollstuhlfahrer noch nutzbare Rampe. Die Alternative, der Einbau eines elektronischen Lifts werde zurzeit geprüft, so Lehmann.

„Die Sparkasse Berlin ist ein schönes Beispiel dafür, dass es sich lohnt „Experten in eigener Sache“ zu Rate zu ziehen, vor allem wenn die Gegenseite gewillt ist, auch etwas zu verändern“, sagt Dominik Peter, Vorsitzender des Berliner Behindertenverbands (BBV). Leider stoße man noch viel zu oft auf Negativbeispiele – wie beispielsweise auf die deutsche Bahn. Im vergangen Jahr hat sie die Bestellung einer neuen Innenausstattung der S-Bahn-Waggons in Auftrag gegeben. Dabei wurde versäumt – ob mit oder ohne Absicht – die wichtigsten Einwände der Behindertenverbände hinreichend zu berücksichtigen. Dies hatte zur Folge, dass der BBV im Juli vergangenen Jahres eine Resolution mit den entscheidenden Kritikpunkten veröffentlichte (sie ist zu lesen in der Juli-Ausgabe der BBZ 2016). Immerhin mit der Folge, dass nunmehr nochmal Änderungen vorgenommen werden sollen.

„Es ist außerdem absolut indiskutabel, wenn wir als Behindertenverbände an Neuheiten massiv Kritik üben und die S-Bahn Berlin GmbH – wie in diesem Fall geschehen – anschließend ganz gezielt den Eindruck erwecken wollte, das neue Produkt sei sozusagen von den Verbänden abgesegnet worden, nur weil sie in den Gremien vorgestellt wurden“, sagt der BBV-Vorsitzende. Die Verantwortlichen sollten sich ein Beispiel an der Sparkasse nehmen.

Das wir in Sachen Barrierefreiheit und der Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention noch am Anfang stehen, darin sind sich die behindertenpolitischen Akteure einig. Der Verpflichtung zur Herstellung von Barrierefreiheit könne man nur mit einer entsprechenden und klaren  Gesetzesgrundlage erreichen. „Der Staat doktert hier und da zwar etwas rum, ohne wirklich das Problem bei der Wurzel zu packen. Wir benötigen eine Gesetzeslage, bei der sichergestellt werden muss, dass bei Verstößen schadenersatzrechtliche Ansprüche bzw. Klagen möglich sind. Und der Privatsektor darf zukünftig keine Extra-Wurst mehr sein und muss weitaus stärker gesetzlich eingebunden werden. Nur so werden wir mittelfristig endlich Fortschritte erleben.

Bis es soweit ist, können Menschen mit Behinderungen nur hoffen, dass sich mehr Dienstleister aus eigenem Antrieb darum bemühen, Barrierefreiheit herzustellen. Immerhin ist sie laut Valentin Aichele, Leiter der Monitoring-Stelle der UN-Behindertenrechtskonvention, für alle Menschen eine entscheidende Voraussetzung, um am gesellschaftlichen Leben teilnehmen zu können und ein Schlüssel für die Enthinderung der Gesellschaft.

INFOKASTEN: Artikel 9 „Zugänglichkeit“

Der unten zitierte Artikel 9 stammt aus dem Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen vom 13. Dezember 2006 (UN-Behindertenrechtskonvention). Deutschland hat diese Konvention ratifiziert.

(1) Um Menschen mit Behinderungen eine unabhängige Lebensführung und die volle Teilhabe in allen Lebensbereichen zu ermöglichen, treffen die Vertragsstaaten geeignete Maßnahmen mit dem Ziel, für Menschen mit Behinderungen den gleichberechtigten Zugang zur physischen Umwelt, zu Transportmitteln, Information und Kommunikation, einschließlich Informations- und Kommunikationstechnologien und -systemen, sowie zu anderen Einrichtungen und Diensten, die der Öffentlichkeit in städtischen und ländlichen Gebieten offen stehen oder für sie bereitgestellt werden, zu gewährleisten. Diese Maßnahmen, welche die Feststellung und Beseitigung von Zugangshindernissen und -barrieren einschließen, gelten unter anderem für

a) Gebäude, Straßen, Transportmittel sowie andere Einrichtungen in Gebäuden und im Freien, einschließlich Schulen, Wohnhäusern, medizinischer Einrichtungen und Arbeitsstätten;

b) Informations-, Kommunikations- und andere Dienste, einschließlich elektronischer Dienste und Notdienste.

(2) Die Vertragsstaaten treffen außerdem geeignete Maßnahmen,

a) um Mindeststandards und Leitlinien für die Zugänglichkeit von Einrichtungen und Diensten, die der Öffentlichkeit offen stehen oder für sie bereitgestellt werden, auszuarbeiten und zu erlassen und ihre Anwendung zu überwachen;

b) um sicherzustellen, dass private Rechtsträger, die Einrichtungen und Dienste, die der Öffentlichkeit offen stehen oder für sie bereitgestellt werden, anbieten, alle Aspekte der Zugänglichkeit für Menschen mit Behinderungen berücksichtigen;

c) um betroffenen Kreisen Schulungen zu Fragen der Zugänglichkeit für Menschen mit Behinderungen anzubieten;

d) um in Gebäuden und anderen Einrichtungen, die der Öffentlichkeit offen stehen, Beschilderungen in Brailleschrift und in leicht lesbarer und verständlicher Form anzubringen;

e) um menschliche und tierische Hilfe sowie Mittelspersonen, unter anderem Personen zum Führen und Vorlesen sowie professionelle Gebärdensprachdolmetscher und -dolmetscherinnen, zur Verfügung zu stellen mit dem Ziel, den Zugang zu Gebäuden und anderen Einrichtungen, die der Öffentlichkeit offen stehen, zu erleichtern;

f) um andere geeignete Formen der Hilfe und Unterstützung für Menschen mit Behinderungen zu fördern, damit ihr Zugang zu Informationen gewährleistet wird;

g) um den Zugang von Menschen mit Behinderungen zu den neuen Informations- und Kommunikationstechnologien und -systemen, einschließlich des Internets, zu fördern;

h) um die Gestaltung, die Entwicklung, die Herstellung und den Vertrieb zugänglicher Informations- und Kommunikationstechnologien und -systeme in einem frühen Stadium zu fördern, sodass deren Zugänglichkeit mit möglichst geringem Kostenaufwand erreicht wird.

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