Servus und vielen Dank: Abschieds-Interview mit Gabriele Rühling
Die Beauftragte für Menschen mit Behinderung von Treptow-Köpenick geht in den Ruhestand. Die BBZ sprach mit ihr über „Was war“ und „Was bleibt“. Das Interview führte Dominik Peter.
BBZ: Wenn Sie zurückblicken, auf welche beruflichen Neuerungen, Errungenschaften oder Aktionen sind Sie besonders stolz während Ihrer Amtszeit?
Gabriele Rühling: Stolz … das ist sehr hochtrabend. Ich blicke auf fast 28 Jahre zurück und denke, gemeinsam mit meinen langjährigen Mitstreiterinnen und Mitstreitern der ersten Jahre – zu allererst nenne ich hier meine liebe Kollegin Hildrun Knuth aber auch Elgine Weber und Uwe Hoppe (BBV-Vorstandsmitglied) – haben das Bild eines/einer Behindertenbeauftragten Anfang der 90er Jahre geprägt. Darauf, dass es verpflichtend eine solche Stelle in den Bezirken geben muss, können wir stolz sein. Ich erinnere daran: so jemanden gab es weder in Ost- noch in Westberlin. Wir konnten damals noch gestalten. So konnten Forderungen wie zum Beispiel das historische Rathaus Köpenick ganz schnell mit Aufzügen versehen werden. Es sollte 20 weitere Jahre dauern, bis auch der Ratskeller drankam.
Ich hatte einen guten Start Anfang der 90er Jahre, es war die Zeit des allgemeinen Aufbruchs, der sich neu gründenden Behindertenbewegung, des Zusammengehens erst von Ost und West und dann auch noch von Treptow und Köpenick. In diesen Zeiten hatte ich Vorgesetzte – zunächst die Sozialstadträtin Frau Walter und dann Bürgermeister Dr. Ulbricht – die mir ermöglicht haben, das Aufgabengebiet so zu entwickeln, wie ich es für richtig hielt. Dafür bin ich beiden sehr dankbar.
Aus meiner Idee, eine Arbeitsgruppe Behindertenangelegenheiten ins Leben zu rufen ist dann ein paar Jahre später durch das LGBG ein ganz wunderbar arbeitender Behindertenbeirat geworden, auf den ich bis heute extrem stolz bin.
BBZ: Gab es auch Rückschläge, an die Sie sich noch erinnern?
Gabriele Rühling: Ein Riesen-Rückschlag Ende der 90er Jahre war, dass Eltern eines schwer körperbehinderten Mädchens ihre Tochter auf ein Gymnasium in Wohnortnähe geben wollten. Dort wollte man kein behindertes Kind – wir haben es doch geschafft, das Mädchen dorthin umzuschulen. Sie wurde von Mitschülern gemobbt und von der Lehrerschaft nicht geschützt. Sie musste die Schule wieder verlassen, hat dann an einer Körperbehindertenschule ein super Abitur hingelegt und anschließend studiert. Hier denke ich, war mein Ehrgeiz zu groß.
Dann habe ich auch recht zeitig versucht, eine Arbeitsgruppe Integration in der Schule ins Leben zu rufen. Wir quälten uns durch einige Jahre, ich bekam reichlich Gegenwind aus der Schulbranche zu spüren, bis die AG schließlich aus Mangel an Interesse aufgelöst wurde.
Ein Rückschlag, der mir bis heute durch den Kopf geht, war die Aussage eines Gynäkologen nach meiner Forderung, seine Praxis barrierefrei zu bauen, er habe überhaupt nicht vor, behinderte Frauen zu behandeln. Die sollten mal sowieso besser gleich in ein Krankenhaus gehen.
Ein weiterer Rückschlag, an den ich mich gar nicht erinnern muss, weil er aktuell ist, ist die strikte Ablehnung einer barrierefreien Verkehrsverbindung durch die Senatsverwaltung Umwelt, Verkehr und Klimaschutz über die Spree in Höhe des Spreetunnels, der Friedrichshagen mit der Köpenicker Kämmereiheide und den großen Wohngebieten im Allende-Viertel mit mehreren Pflegeeinrichtungen verbindet. Überhaupt infrage zu stellen, dass es aus welchen Gründen auch immer möbilitätsbeeinträchtigten Menschen nicht ermöglicht werden soll, den Tunnel mit seiner gewaltigen Treppenanlage zu queren, entzieht sich meinem Verständnis von Daseinsvorsorge.
BBZ: Was blieb unerledigt?
Gabriele Rühling: Erledigt und tischfertig? Hier hat man als Behindertenbeauftragte/r ohnehin keine Chance.
Ich glaube auch, dass die Zeiten immer schwieriger werden, der Gegenwind immer stärker. Irgendwie umgekehrt proportional zu dem, was an guten Vorsätzen in die Öffentlichkeit gegeben wird.
In meiner Abschiedsrede, die ich dem aus dem Amt scheidenden Dr. Jürgen Schneider im Roten Rathaus halten durfte, habe ich das angerissen: Es scheint sich ein Diversity-Wettstreit zu entfachen, der für alle nicht gut ist.
Unerledigtes liegt jetzt bei meinen Amtskolleginnen und Kollegen und bei meinem Nachfolger: darauf zu achten, dass wir in der Wohnungsfrage weiterkommen. Es gibt einfach viel zu wenige und noch dazu bezahlbare Rollstuhlbenutzerwohnungen, darüber kann auch die sicher hilfreiche Bauordnung mit ihrer Drittellösung( 1/3 aller Wohnungen im Neubau barrierefrei) nicht hinweghelfen. Den Widerstand aus der Baubranche habe ich deutlich zu spüren bekommen. Immer wieder werden vermeintlich zu hohe Kosten ins Feld geführt. Und das Land entzieht sich der Verantwortung bei der Unterstützung der Menschen, die dringend solche Wohnungen benötigen. Niemand ist wirklich zuständig. Das darf so nicht bleiben.
BBZ: Was geben Sie einer Nachfolgerin/einem Nachfolger mit auf dem Weg?
Gabriele Rühling: Meinem Nachfolger kann ich nur mit auf den Weg geben, dranzubleiben. Immer wieder dranbleiben. Sich nicht einschüchtern lassen und ganz wichtig, sich auf die Kompetenz des Beirates zu verlassen und diesen in allen seinen Anliegen zu unterstützen. Ohne „meinen“ Beirat wäre ich heute nicht da, wo ich bin. Und dann gebe ich ihm den Rat, den guten Zusammenhalt der Berliner Behindertenbeauftragten zu pflegen und den intensiven Austausch zu nutzen.
BBZ: Haben wir schon viel erreicht in punkto Behindertenpolitik in Berlin?
Gabriele Rühling: Ja sicher haben wir das, es wäre schlimm, wenn ich anderes konstatieren müsste. Aber ich meine, wir hätten mehr erreichen können. Das Bewusstsein bleibt oft noch auf der Strecke. Das in der Politik so, aber auch in der Verwaltung und auch in der Gesellschaft. Wir kämpfen gerade in Treptow-Köpenick dafür, dass der S-Bahnhof Schöneweide während einer mindestens dreijährigen Umbauzeit nicht barrierefrei erschlossen sein soll. Ja, kann denn so etwas sein, dass Betroffene selber hierfür kämpfen müssen? So eine Vorstellung dürfte doch bei den Verantwortlichen bei der Bahn gar nicht erst in den Köpfen auftauchen, geschwiege denn als „leider nicht anders lösbar“ verkündet werden. Mit Hilfe der Schlichtungsstelle bei der Bundesbeauftragten soll jetzt nach Lösungsmöglichkeiten und Finanzierungsgrundlagen für eine Abhilfe gesucht werden.
Trotzdem ist es unübersehbar, wie sich der ÖPNV in Richtung umfassende Barrierefreiheit entwickelt, wie öffentliche Bauten grundsätzlich nach ebendiesen Kriterien neu- bzw. umgebaut werden.
BBZ: Was werden Sie im „Unruhestand“ angehen?
Gabriele Rühling: Erst einmal ist eine komplette Wohnungsrenovierung angesagt. Ich starte im Mai in die Rente und unser schöner Bezirk sowie mein kleiner Garten bieten so viele Möglichkeiten, die Natur zu genießen. Dann werden wir verstärkt nach rollstuhl- und hundefreundlichen Urlaubsquartieren suchen und ab und an mal Kurzreisen einplanen. Und da ich fast nie länger als 14 Tage am Stück Urlaub gemacht habe, genieße ich diese Freiheit. Also erst einmal Freizeit. Ob das so einfach klappt, weiß ich noch nicht.
Ein paar Ideen, wo und wie ich mich einbringen kann, habe ich schon. Aber die sind noch nicht spruchreif. Ich bin schon einige Male angesprochen worden … Man wird sehen.
BBZ: Besten Dank für das Interview und alles erdenklich Gute.