Humanitäre Hilfe inklusiv gestalten

In humanitären Krisen sind Menschen mit Behinderungen besonders gefährdet. Deutschland als zweitgrößter Geldgeber im Bereich der humanitären Hilfe weltweit muss Einfluss darauf nehmen, dass auch Menschen mit Behinderungen Zugang zu Hilfsmaßnahmen haben. Wie das gelingen kann, weiß Catharina Hübner von der Monitoring-Stelle UN-Behindertenrechtskonvention.

Vor welchen Problemen stehen Menschen mit Behinderungen in humanitären Krisen und wie können sie besser unterstützt werden?

Menschen mit Behinderungen sind schon im Alltag oft benachteiligt, in einer humanitären Krise sind die Gefahren für sie besonders hoch.  So kann es zum Beispiel sein, dass gehörlose oder blinde Menschen die Gefahr einer Flut oder einer Lawine zu spät bemerken. Und wer in seiner Mobilität eingeschränkt ist, kann das Krisengebiet möglicherweise nur unter großen Schwierigkeiten verlassen. Der Schutz der Schwächsten einer Gesellschaft stellt auch humanitäre Akteure vor große Herausforderungen. Die Zahl der Katastrophen und damit die der Menschen, die auf Nothilfe angewiesen sind, nimmt zu. Die Notlagen sind vielfältig, und Katastrophenhilfe muss inzwischen auf der Grundlage von menschenrechtlich gewachsenen Standards, wie sie sich zum Beispiel aus der UN-Behindertenrechtskonvention ergeben, arbeiten. Hieraus erwachsen neue Aufgaben und Anforderungen in bislang nie dagewesenem Umfang.

Um Menschen mit Behinderungen im Katastrophenfall besser unterstützen zu können, braucht es Hilfsmaßnahmen, die bedarfsgerecht und inklusiv ausgestaltet sind. In der Katastrophenhilfe wird aber immer noch oft übersehen, dass es „den behinderten Menschen“ nicht gibt. „Menschen mit Behinderungen“ sind Frauen, Männer und Kinder in sehr unterschiedlichen Lebenslagen. Menschen mit chronischen Erkrankungen, physisch oder psychisch beeinträchtigte Personen, blinde oder gehörlose Menschen. Sie müssen alle auf unterschiedliche Weise unterstützt werden. Dies im Blick zu behalten, ist gerade im Katastrophenfall wichtig.

Welche Rolle spielt Deutschland in der humanitären Hilfe und wozu ist Deutschland verpflichtet?

Deutschland ist zweitgrößter Geldgeber im Bereich der humanitären Hilfe weltweit und kann Einfluss darauf nehmen, dass auch Menschen mit Behinderungen Zugang zu Hilfsmaßnahmen haben. Gemäß Artikel 11 der UN-Behindertenrechtskonvention ist der deutsche Staat dazu verpflichtet, in Gefahrensituationen, humanitären Notlagen und bei Naturkatastrophen alle erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, um den Schutz und die Sicherheit von Menschen mit Behinderungen zu gewährleisten. Erforderlich sind spezifische Projekte, die die Belange von Menschen mit Behinderungen berücksichtigen. Wichtig ist es aber auch, dass  Menschen mit Behinderungen in alle Programme und Strategien der humanitären Hilfe einbezogen werden.

Bislang gibt es jedoch keine menschenrechtsbasierte Strategie, die sicherstellt, dass Menschen mit Behinderungen im Notfall effektive Hilfe bekommen. Darauf hat der UN-Ausschuss für die Rechte von Menschen mit Behinderungen 2015 im Rahmen des ersten Staatenberichtsverfahrens Deutschlands hingewiesen und Deutschland empfohlen, eine solche Strategie zu verabschieden.

Deutschland hat inzwischen erste Schritte auf diesem Weg unternommen und 2016 die auf dem World Humanitarian Summit beschlossene „Charta zur Inklusion von Menschen mit Behinderungen in der humanitären Hilfe“  angenommen. Dieser erste humanitäre Weltgipfel der Vereinten Nationen unter Beteiligung von über 50 Staats- und Regierungschefs und 5.000 Experten aus den Bereichen humanitäre Hilfe, Entwicklung und Politik wurde ins Leben gerufen, um  das System der humanitären Hilfe effizienter und wirksamer aufzustellen. Die Bundesregierung hat sich dazu verpflichtet, bis Ende 2020 in allen humanitären Programmen die verschiedenen Bedürfnisse und Kapazitäten von Frauen, Mädchen, Männern und Jungen mit Behinderungen systematisch zu berücksichtigen. Außerdem soll mit bewusstseinsbildenden Maßnahmen das Verständnis aller beteiligten Akteure für die Bedürfnisse der Menschen mit Behinderungen verbessert werden.

Was sollte die Bundesregierung tun, um Menschen mit Behinderungen in Notsituationen besser unterstützen zu können?

Um zu gewährleisten, dass Menschen mit Behinderungen in Notsituationen die notwendige Unterstützung erhalten, muss die humanitäre Hilfe Deutschlands im Ausland inklusiv sein und an den Menschenrechten ausgerichtet werden. Hier ist in erster Linie das Auswärtige Amt gefordert, das diesen Prozess strategisch steuern muss. Menschen mit Behinderungen sind hierbei sinnvoll einzubeziehen. Darüber hinaus bedarf es eines Plans, wie die Umsetzung von Maßnahmen und Planungen überwacht und evaluiert werden kann, da nur so eine angemessene Erfolgskontrolle möglich ist.

Ein positives Beispiel hierfür ist die „Humanitarian Strategy“ des australischen Ministeriums für auswärtige Angelegenheiten. Sie enthält als inhaltlichen Schwerpunkt das Thema „Disability Inclusiveness“ und verweist auf weitere Programme und Richtlinien zur Inklusion von Menschen mit Behinderungen. So zum Beispiel auf die „Strategy for strengthening disability – inclusive development in Australia’s aid program“ und den „Accessibility Design Guide„, der Richtlinien für universelles Design im Rahmen australischer Hilfsprogramme enthält. Letztere beinhalten praktische Informationen in Bezug auf die Reduzierung von Barrieren, die beispielsweise den Zugang zu Krankenhäusern erschweren oder unmöglich machen. Hiervon profitieren nicht nur Menschen mit Behinderungen, sondern auch ältere Menschen, schwangere Frauen oder Kinder.

Catharina Hübner ist wissenschaftliche Mitarbeiterin der Monitoring-Stelle UN-Behindertenrechtskonvention des Deutschen Instituts für Menschenrechte. Sie arbeitet unter anderem zu den Themen Diskriminierungsschutz,  Gleichstellungsgesetze und Humanitäre Hilfe.

Weitere Informationen:

Position: Humanitäre Hilfe inklusiv gestalten. Die Rechte von Menschen mit Behinderungen systematisch verankern, Deutsches Institut für Menschenrechte 2018

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