Portrait: „Wenn ich nach Hause komme, bin ich SARABOT“

Die Spanierin Sarah Almagro Vallejo lebt nach einer schweren Erkrankung ohne Hände und Füße. Vier moderne Prothesen sollen ihr die Selbstständigkeit zurückbringen. Ihre Geschichte teilt sie öffentlich, um anderen Betroffenen Mut zu machen. 

Wer Sarah nach ihren Wünschen für das Jahr 2020 fragt, erhält eine klare Antwort: Endlich wieder auf eigenen Beinen stehen können. Sie meint das im wahrsten Sinne des Wortes. Die einst kerngesunde Neunzehnjährige aus Marbella lebt seit 2018 mit einer vierfachen Amputation. Ihrem Körper fehlen Hände, Füße, große Teile des linken Unterarms und beider Unterschenkel. Ursache war eine Blutvergiftung, die ihr Leben kurz nach dem bestandenen Abitur auf den Kopf stellte. Sie fühlte sich krank an jenem Tag im Juli, musste erbrechen, hatte heftige Bauchschmerzen. Was zunächst nach einer Magen-Darm-Infektion aussah, war weitaus gefährlicher: Meningokokken griffen ihren Körper an. Sie gelangten in die Blutbahn und führten zu einer Sepsis mit Multiorganversagen. Nach zehn Tagen im Koma waren Hände und Füße aufgrund der schlechten Durchblutung abgestorben. Die Ärzte konnten nur noch amputieren. 

Für Sarah hatte der Kampf zurück ins Leben damit erst begonnen. Mehrere Hauttransplantationen an den Stümpfen und eine erneute Knieoperation verzögerten die Heilung. Fast ein Jahr lang musste sie dreimal pro Woche zur Dialyse. Im letzten November war zumindest diese Zeit überstanden: Vater Ismael spendete seiner Tochter eine Niere. Das Organ arbeitet gut, doch durch die Immunsuppressiva und andere Medikamente leidet sie seither an erhöhtem Blutzuckerspiegel. Das Auf und Ab ihrer Gesundheit zerrt an den Nerven. „Ich habe das Gefühl, dass bei jedem Fortschritt ein Rückschlag auf mich wartet. Es geht nur Stück für Stück voran. Aber ich gebe nicht auf,“ sagt Sarah entschlossen. Das zweite Jahr nach ihrer Erkrankung soll nun ein Meilenstein werden. In den ersten Januarwochen hat die Neunzehnjährige in Madrid intensiv an ihrer Mobilität gearbeitet. Dort sind Orthopädietechniker Jens Müller und sein Team ansässig. Der Deutsche ist Spezialist für Prothetik und betreut einige spanische Spitzensportler im Behindertenbereich. Andere Betroffene und Fachleute haben ihr die Zusammenarbeit empfohlen. Seit fast 30 Jahren lebt und arbeitet Jens Müller in Spanien. Wie dort Menschen nach Amputationen versorgt werden, beschreibt er kritisch: „Prothesenträger haben es hier nicht leicht. Das fängt bei der Qualität der Ausstattung an und geht bei der Nachsorge weiter. Spanische Orthopäden haben oft nicht genügend Kenntnisse in diesem Bereich und bilden sich nicht weiter.“ Auch schöpfe die Sozialversicherung das Potenzial der heutigen Orthopädietechnik bei weitem nicht aus. Müller erklärt: „Die Prothesenliste in diesem Land ist von 1984. Seither hat sich von behördlicher Seite kaum etwas getan. Nur die geringste Basisausstattung wird finanziert. Wer hochwertigere Prothesen will, muss für die Kosten selbst aufkommen.“ 

Sarahs Mutter Silvia bringt dieses Thema in Rage: „Die Prothesen, die finanziert werden, sind ein Witz. Sie gehören in ein Museum. Sarah ist 19 Jahre alt. Sollen wir sie in Rente schicken mit nichts als einem Pinzettengriff?“ Für die Eltern war früh klar, dass ihre Tochter das Leben so nicht meistern soll. Sie informierten sich über die Möglichkeiten der modernen Prothetik, besuchten eine Fachmesse und sprachen mit Experten. Die Entscheidung fiel auf einen deutschen Prothesenhersteller. Zwei Unterschenkelprothesen mit einem passenden Fuß für den Alltag sollen Sarah wieder auf die Beine bringen. Für die Arme bekommt sie zwei bionische Handprothesen, die sich über acht Sensoren an ihren Armstümpfen steuern lassen. 14 verschiedene Griffe und Handpositionen sind deshalb möglich. Mit der Ausstattung werde sie ein halber Roboter sein, witzelt Sarah auf ihrer Facebook-Seite. Schwarzer Humor und der Austausch mit anderen Betroffenen – das hilft ihr neben ihrer engagierten Familie am meisten dabei, mit ihrem Schicksal umzugehen. Deshalb beantwortet sie in den sozialen Kanälen Fragen und zeigt Bilder ihrer Fortschritte. Sie möchte anderen Betroffenen Mut machen. In Marbella war Sarahs Fall von Anfang an in den Medien präsent. Dafür sorgten Freunde, Familie und die Menschen in ihrer Heimatstadt. Es bildete sich eine Welle der Solidarität, die sich bis heute über die ganze Stadt und deren Grenzen hinaus erstreckt. Auf vielen Veranstaltungen sammeln Vereine, Schulen und andere Institutionen Geld für Sarahs Prothesen. Das Engagement ist so groß, dass die Finanzierung der Erstausstattung bereits gesichert ist. „Am meisten freue ich mich auf die Beinprothesen. Mir fehlt die Bewegung so sehr,“ sagt Sarah, die vor ihrer Erkrankung in vielen Sportarten aktiv war. Inzwischen hat sie sich ihre eigenen Übungen ausgedacht. Vergangenem nachzutrauern, helfe ihr nicht. „Ich möchte das Beste aus meiner Lage machen. Da hilft nur der Blick nach vorne.“

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