Hildrun Knuth geht in den Ruhestand
Seit fast 3 Jahrzehnten wirkte Hildrun Knuth als Behindertenbeauftragte im Bezirk Mitte. Demnächst geht die Dienstälteste Behindertenbeauftragte in den Ruhestand. Dominik Peter sprach mit ihr über ihre Erfahrungen und Erinnerungen.
Dominik Peter: Frau Knuth, Sie gehen demnächst in den „Ruhestand“. Wie ruhig wird dieser und wie lange waren Sie eigentlich im Amt?
Hildrun Knuth: Im November 1992 trat ich im Berolina-Haus auf dem Alexanderplatz, die Stelle der Bezirksbehindertenbeauftragten an. Diese Stelle gab es zu dieser Zeit in der Verwaltung nicht. Ein Beschluss der BVV-Mitte von Berlin mit dem Ziel, neben der Gründung eines Behindertenbeirates auch eine Ansprechpartnerin im Bezirksamt für Menschen mit Behinderungen einzusetzen, gab den Ausschlag. Es ist viel geschehen in den fast 29 Jahren und ja, ich stelle eine gewisse Erschöpfung fest. Ich freue mich nun auf eine möglichst nicht zu ruhige, andere Zeit nach der Berufstätigkeit und hoffentlich dann auch nach der Pandemie. Wer weiß, welche Türen sich öffnen werden? Und es ist auch Zeit für einen Wechsel.
Dominik Peter: Sie können also auf viele Jahre Behindertenpolitik zurückblicken. Was hat sich Ihrer Meinung nach zum Guten, was zum Schlechten verändert?
Hildrun Knuth: Ich glaube, das gewachsene Selbstbewusstsein, die Art und Weise, wie Menschen mit Behinderungen sich vertreten und ihre Rechte einfordern, die digitalen Möglichkeiten, gehören zum Guten. Als nicht gut nehme ich die schier unübersichtlich gewordenen – nichts einfacher machenden – Gesetzes-Vorgaben, Beschlüsse und Ausführungsbestimmungen wahr.
Kaum Jemand kennt sich noch aus. Wundersame Namen, wie Haus der Teilhabe, Teilhabebeirat, Barrierefreiheitsstärkungsgesetz u.a. versprechen Gleichberechtigung. In der Konkurrenz der Prioritäten kommen Menschen mit Behinderungen jedoch nicht auf vordere Plätze. Oftmals werden sie vergessen, weil sie eben nicht mitgedacht werden, so wie es in der Regel beschwichtigend heißt.Konkret sind die Verbesserung des ÖPNV und die vielfältigen Möglichkeiten der digitalen Kommunikation als gute Entwicklungen zu sehen. Aber die Zeit ist zu lang, viel zu lang! Insbesondere die Aktivistinnen und Aktivisten der Behindertenbewegung wissen, seit wie vielen Jahren sich Forderungen wiederholen, Zielstellungen nicht erfüllten.
Dominik Peter: Ich habe immer wieder den Eindruck gehabt, dass die Erwartungshaltung behinderter Menschen an Bezirksbeauftragte größer waren bzw. sind, als dieses Amt tatsächlich bewegen kann. Sehen Sie dies auch so?
Hildrun Knuth: Ja, und die Anforderungen wachsen. Für viele Menschen sind wir Beauftragten eine oder oftmals „die“ letzte Möglichkeit, etwas zu erreichen oder zu bewegen, was in Antrags- oder Verwaltungsverfahren nicht gelang. Auf der Suche nach einer Rollstuhl-Nutzer-Wohnung z.B. interessiert es nicht, wie viele Briefe meine Amtskollegen und Amtskolleginnen und ich schon schrieben, wie viele Diskussionen wir führten und uneinsichtige Absagen wir erhielten. Letztendlich habe ich keine Wohnung zu vergeben und Enttäuschung entsteht. Viele weitere Beispiele könnte ich nennen. Generell gehört es zu den Aufgaben der Beauftragten das Bezirksamt und die Bezirksverordnetenversammlung immer wieder auf Probleme und Schwierigkeiten hinzuweisen und Empfehlungen zu geben. Ein gemeinsames und solidarisches Vorgehen der emanzipatorischen Behindertenbewegung und der Beauftragten wäre zielführend. Dazu gehören ehrliche Auseinandersetzungen und gegenseitiger Respekt.
Dominik Peter: Rückblickend, über welchen Erfolg freuen Sie sich noch heute?
Hildrun Knuth: Erfolg? Ich führe keine Statistik über die Umsetzung meiner Anregungen und Empfehlungen. Als eine Erfolgsgeschichte würde ich meine Tätigkeit nicht bewerten. Aber vielleicht konnte ich Einfluss nehmen auf Kollegen und Kolleginnen, Planungen, Konzepte und auf Politiker und Politikerinnen? Was ich mir als Erfolg anrechnen würde, sind die zahlreichen Kontakte zu Menschen mit Behinderungen, die mir halfen, Anliegen zu verstehen, die mich unterstützten, mir beistanden und wir uns so gegenseitig den „Rücken stärkten“. Dass ich dazu beitragen konnte, dass der Behindertenbeirat immer „funktionierte“, dass so viele Mitglieder mir Vertrauen entgegenbrachten und dass uns zahlreiche gemeinsame Erlebnisse verbinden, darauf bin ich stolz.
Dominik Peter: Die Pandemie deckt vieles schonungslos auf. Neulich im Landesbehindertenbeirat sprach ich davon, dass die noch nicht gelebte Inklusion uns gerade auf die Füße fällt. Da Senatsverwaltungen beispielsweise Gebärdensprache oder Leichte Sprache nicht bereits seit Jahren automatisch mitdenken, dauerte es in der Pandemie Monate, bis wichtige Dokumente „übersetzt“ wurden. Stimmen Sie dieser Einschätzung zu?
Hildrun Knuth: Ja, sofort! Es muss nach wie vor, immer wieder auf die Standards, die einfachsten Dinge hingewiesen werden. Bei einer Veranstaltung z.B. fehlte die Rampe zur Bühne, auf einem Empfang gab es nur Stehtische, dass die zahlreichen Infos zur Pandemie auch barrierefrei lesbar sein müssen, dass Blindenführhunde in Impfzentren mitgeführt werden dürfen und Gebärdensprache zur Information dazu gehört u.a., sind immer noch keine Selbstverständlichkeiten. Inklusion muss immer wieder eingefordert werden, auf allen Gebieten. Dass es so lange dauert und immer noch Erklärungsbedarf für die Beseitigung von Barrieren besteht, geltendes Recht ignoriert werden kann, die Vision der UN-BRK fast in Vergessenheit geraten ist, macht mich zornig.
Dominik Peter: Was bleibt?
Hildrun Knuth: Erinnerungen an tolle Menschen, viele unerwartete Erlebnisse und kreative Einfälle. Behinderung (en) gibt es in allen Lebensbereichen. Ich halte deshalb die Tätigkeit der/des Behindertenbeauftragten für eine der vielseitigsten und komplexesten im Öffentlichen Dienst. Wir sind echte Netzwerkerinnen und Netzwerker in den Bezirksämtern und darüber hinaus. Ich danke allen, die mit mir zusammen arbeiteten, die mich begleiteten, mich berieten und kritisierten. Es war eine gute Zeit!
Dominik Peter: Ich danke Dir im Namen des gesamten BBV-Vorstands. Du hattest immer ein offenes Ohr für uns, dass war toll. Danke.