„Du rockst, ich roll“ – Ein Musiker und eine Autorin stehen im Rollstuhl mitten im Leben

Michael Dobbertin liebt Heavy Metal und bei unserer Videokonferenz hängen gut sichtbar diverse E-Gitarren im Hintergrund an seiner Wand. Neben ihm sitzt seine Freundin Dr. Bettina Unger, die vor kurzem in der BBZ einen Beitrag aus der Serie Zurückgekämpft las und sich daraufhin bei der Redaktion meldete. So kam es zu dem Interview. Beide erzählen ihre eigene Geschichte, in der sie durch einen Unfall bzw. eine Erkrankung zu ganz unterschiedlichen Zeitpunkten ihres Lebens aus der Bahn bzw. ihrem bis dahin gewohntem Leben geworfen wurden, um sich anschließend zurück zu kämpfen, gestärkt aus der Krise hervorzukommen und schließlich zusammen zu finden.

Michael Dobbertin wurde vor 7 Jahren bei einem Verkehrsunfall verletzt. Der vierfache Vater und Großvater lag anschließend im Koma, musste danach wieder sprechen lernen und sitzt seitdem im Rollstuhl. Dazu kam ein Problem, das schon in dem Beitrag über Frau Grolle in der April-Ausgabe kurz erwähnt wurde: Nach Krankenhaus und Reha lebte Herr Dobbertin fast vier Jahre in einem Altenheim, weil seine Wohnung nicht barrierefrei war und es an Alternativen mangelt. Erst vor drei Jahren war er dann wieder in der Lage, trotz der Schwierigkeiten beim Sprechen, eine passende Wohnung in Berlin zu suchen und war schließlich erfolgreich. Heute lebt er wieder so selbstständig und selbstbestimmt wie möglich im Neuköllner Ortsteil Britz. Das ist gut so, denn so können die beiden mühelos mit dem Rollstuhl in den Britzer Garten oder zum Britzer Schloss. Und sie haben noch viele andere Ziele, denn beide sind sehr unternehmungslustig und kulturell interessiert. 

„Bei Konzerten gibt es keine Probleme, die Veranstaltungsorte sind barrierefrei und die Menschen sehr hilfsbereit“, schildert Frau Unger die Konzertbesuche vor Corona. „Lido, Astra, Tempodrom, überall werden wir gut unterstützt, wenn wir mit dem Rollstuhl kommen.“ Während Michael Dobbertin nicht nur Musik mag, sondern auch 30 Jahre erfolgreich Musik machte – er spielte vor dem Unfall in verschiedenen Metal Bands (Metal Law, MARILYNN, TORTURE SLAVE), die mehrere Alben veröffentlichten – ist seine Partnerin auch an Fotografie und bildender Kunst interessiert und freut sich auf die Ausstellung „The Mystery of Banksy“, die aktuell in Berlin stattfindet. Außerdem beschäftigt die beiden zum Zeitpunkt des Interviews der „Kampf“ um einen Impftermin.

Bettina Unger studierte Deutsch, Französisch und Theaterwissenschaften, als sie 1991 an Multiple Sklerose erkrankte. Schon zwei Jahre später hat eine Halbseitenlähmung ihr gewohntes Leben massiv verändert und eingeschränkt. Sie konnte dennoch ihr Studium abschließen, sogar die Promotion beginnen und von Köln nach Berlin umziehen. „Die Krankheit MS hat mich früh beeinträchtigt und wir trainieren beide täglich, damit die körperlichen Einschränkungen nicht schlimmer werden oder sich verbessern. Wenn ich nicht laufen kann, dann nutze ich den Rollstuhl. Wichtig ist es, mobil zu sein.“ So erklärt sich vielleicht auch der Titel ihres ersten Buches „Du rockst, ich roll – Mein Leben auf vier Rädern“, das Bettina Unger 2012 veröffentlichte.

Schon vor ihrem Buch hatte sie inklusive Kurzgeschichten verfasst und an Wettbewerben teilgenommen. Schreiben ist eine wichtige weitere Beschäftigung für Bettina Unger. Ihre Erfahrungen hat sie aber auch zeitweise als Beraterin im Netzwerk behinderter Frauen weiter gegeben. Empowerment, Autonomie und Selbstbestimmung sind Schlüsselbegriffe für sie und ihren Partner. 

Die beiden leben es.  Sie lassen sich dabei auch von anderen inspirieren. Auf der Seite www.die-andersmacher.org des Berliner Vereins SOZIALHELDEN werden Menschen mit Beeinträchtigungen vorgestellt, die ihren eigenen Weg gehen, z.B. David Lebusa, ein Extremsportler im Rollstuhl, eine Schauspielerin mit Trisomie 21 oder die blinde Anwältin Pamela Pabst. Bei der Recherche über den Musiker Michael Dobbertin fand ich ein Interview aus dem Jahr 2009. Damals sagte er:“ Und es ist schön zu sehen, dass wir immer mehr Fans aus der ganzen Welt für unseren Old School Metal begeistern können, denn diese Mucke wird nie aussterben! Wir machen das mit 100% unseres Herzens. Wir können das Rad nicht neu erfinden, aber das, was wir machen, machen wir aus vollster Überzeugung!“ Mit voller Hingabe leben die beiden auch jetzt und können vielleicht andere inspirieren, dies auch zu tun, selbst wenn etwas im Leben dazwischenkommt.

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