Zum Fliegen braucht es einen Flughafen
Und den hat Berlin jetzt in neuer Form. Einen ganz großen sogar. In Berlin denkt man immer in Superlativen. Und wenn die Größe des Flughafens das nicht hergibt, na dann schafft man sich die Superlative eben in der Bauzeit und den Baukosten. Ganze 14 Jahre hat die Bauzeit gedauert, die Kosten können gar nicht genau beziffert werden. Aber Schluss mit der Häme, seit dem 31. Oktober 2020 – bei diesem Flughafen muss man die Jahreszahl dazuschreiben – hat Berlin den BER Flughafen Berlin-Brandenburg.
Es sollte ein moderner Flughafen werden
Das Wort „Flughafen“ erinnert an das Flugfeld in Berlin-Johannistal, in dem in der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts Zeppeline in Richtung Amerika gestartet sind. Diesen Eindruck wollten die Architekten des Architekturbüros Gerkan, Marg and Partners (gmp) nicht erwecken. Im Gegenteil, es sollte ein moderner, den Bedürfnissen des Fluggastes diese Jahrhunderts entsprechender Flughafen werden. Und zu den Bedürfnissen unserer Zeit gehört Barrierefreiheit als Selbstverständlichkeit dazu. Immerhin hat Gerkan den Berliner Hauptbahnhof gebaut und der ist in Sachen Barrierefreiheit nicht der Schlechteste. Visit Berlin, die Vermarktungsgesellschaft für Tourismus in dieser Stadt, wirbt dann auch mit dem Slogan „Berlin barrierefrei erleben. Selbstbestimmt unterwegs. Wie Ihre Reise zum barrierefreien Erlebnis wird.“
Nun sollte man ja Versprechen von Marketing-Agenturen nicht blind vertrauen, schon gar nicht, wenn man blind oder auf einen Rollstuhl angewiesen ist. Ramona Schultz von der Kontaktstelle Köpenick des Bundesverbandes Selbsthilfe Körperbehinderter e. V. und der Autor dieses Artikels meldeten sich deshalb kurzerhand als Komparsen für einen der Testläufe am BER an. Wir waren nicht dort, um die Barrierefreiheit zu testen, sondern um sie zu erleben. Das Testen hatten schon andere vor uns übernommen. Die Landesbehindertenbeiräte für Menschen mit Behinderungen Berlin und Brandenburgs waren von Anfang an in die barrierefreie Ausgestaltung des Flughafens involviert und konnten einige Änderungen durchsetzen. Eine letzte Besichtigung fand vor wenigen Wochen statt. „Wir waren mit dem Ergebnis sehr zufrieden“, betont die Beauftragte des Berliner Senats für die Belange behinderter Menschen, Christine Braunert-Rümenapf. „Unsere Änderungswünsche wurden erfüllt, Fahrstühle sind sprechend und mit taktilen Schrifttafeln ausgestattet, die Lehnen der Stühle wurden rund gestaltet und einiges mehr“. Jetzt ist das mit den organisierten Besichtigungen ja so eine Sache. Seltsamerweise funktioniert dabei immer alles. Man zeigt gern, was man hat. Unser Eindruck war nicht so positiv.
Auf der Suche nach offenen Durchgängen
Unser Test bestand aus zwei Aufgaben: jeweils zwei Abflüge und zwei Ankünfte. Wir bekamen Gepäck, leider laut Aufgabenstellung keinen Gepäckwagen. Den mussten wir uns erkämpfen, kein Assistent kann einen Rollstuhl, zwei Reisekoffer und und ein schweres Handgepäck beherrschen.
In der großen Abfertigungshalle erwarten uns die Check-In-Schalter, die Information, die Sicherheitskontrolle und erfreulicherweise ein Mobilitätsservice. Fünf Schalter sind für unterschiedliche Behinderungsarten (mobilitätseingeschränkt, blind, gehörlos) vorhanden. Zwei davon sind für mobilitätseingeschränkte Personen vorgesehen und bedauerlicherweise haben beide keinen abgesenkten Tresen. An einigen anderen Stellen wurden sie abgesenkt, an dieser Stelle aber wäre es auf jeden Fall Pflicht gewesen. Für blinde Menschen gibt es von der Treppe oder den Aufzügen ein Leitsystem zur Information, aber kein Weg führt zum Mobilitätsservice-Point. Laut Peter Waltersdorf vom Berliner Sehbehindertenverband hätten sich im Arbeitskreis Barrierefreies Bauen am BBI (jetzt BER) ausgerechnet die Rollstuhlnutzer vehement gegen ein Leitsystem zu dieser für blinde Menschen so wichtigen Stelle ausgesprochen. Überhaupt musste sich der Blinden-und Sehbehindertenverband seinen Platz im Arbeitskreis Barrierefreies Bauen am BBI erst erkämpfen, der Berliner Behindertenverband wurde gar nicht erst eingeladen. Hier wäre Transparenz bei der Zusammenstellung eines solchen Arbeitskreises sicher von Nöten gewesen und zeigt die Schwächen im gemeinsamen Auftreten der Behindertenverbände.
Die Sicherheitskontrolle verlief reibungslos, die Bundespolizisten arbeiten so routiniert, wie man das kennt. Nach einigem Suchen und Telefonieren fand unser Begleiter vom Mobilitätsservice sogar den Weg zum Gate. Das Boarding verlief ebenfalls ohne Probleme, Rollstuhlnutzer werden bevorzugt behandelt. Sie dürfen als erste das Flugzeug berollen, betreten wäre hier das falsche Wort. Das hätten wir gern ausprobiert. Die Flugzeuge waren an diesem Tag normale Reisebusse. Unser Begleiter stellte nach einigen Metern auf dem „Finger“, dem Zugang zum Flugzeug, fest, dass es keinen Fahrstuhl hinunter zum Vorfeld gibt. Also wieder zurück und einen anderen Weg zur Ankunft gesucht. Die Gänge sind unendlich lang, das Licht schlecht, doch Fahrstühle gibt es reichlich. Welcher jedoch führt uns zum Ziel? Unser Begleiter wusste es nicht. Nach etlichen Telefonaten fanden wir den Weg zur Passkontrolle, von dort konnten wir zum Gepäckband laufen und unser Vormittagsgepäck abholen.
Der Nachmittag verlief identisch, nur das Suchen nach passenden Fahrstühlen wurde immer schwieriger. Unser Begleiter hatte nur das Telefon am Ohr und war auf ständiger Suche nach passenden Fahrstühlen und offenen Türen. Als es gar nicht weiterging, half uns ein Beamter von der Passkontrolle, der seine Kabine verließ und uns einen Durchgang öffnete. Offensichtlich hatte er erkannt, wie verzweifelt unsere Lage war.
Vier Wochen vorher die gleichen Probleme
Auf einen Facebook-Bericht über genau so einen Testlauf, den Constantin Grosch absolviert und geschrieben hat und der genauso verschlossene Türen vorfand, schrieb ein Leser, dass Testläufe doch dafür da wären, um „in aller Ruhe nach[zu]justieren und [zu] gucken, was wo und warum noch nicht rund läuft. … Die Freigabe notwendiger Aufzüge und das schnellere Öffnen verschlossener Türen sind rein organisatorische Maßnahmen“. Wenn es doch nur so wäre. Wir standen etwas mehr als vier Wochen später vor den gleichen Türen und die waren immer noch verschlossen. Wir haben es nicht geschafft, auf das Vorfeld zu kommen. Das wäre doch eine Stelle zum „nachjustieren“ gewesen.
Gibt es denn gar nichts Gutes zu berichten? Aber ja, zum Beispiel die Behinderten-WCs, in denen meine Rollstuhlfahrerin gar nicht zu fotografieren aufhören konnte. Absenkbares Klosett-Becken, absenkbare und unterfahrbare Waschbecken, absenkbare Liegen, und das durchgehend in allen WCs, die sie besucht hat. Am meisten hat sie die Alarmschnur begeistert, die am Boden und bis zur Tür montiert wurde und aus jeder Position erreichbar ist. Da hat jemand mitgedacht.
Wie kommt der potenzielle Passagier zum Flughafen?
Die Zufahrt für Autofahrer führt über die Autobahn. Die Parkplätze befinden sich etwas abseits der Terminals, die direkte Zufahrt erfolgt über Shuttlebusse. Ob die barrierefrei sind? Eine Antwort der Flughafengesellschaft lag bis Redaktionsschluss nicht vor, diese Frage muss also offenbleiben. Selbstfahrer können direkt bis zu den Terminals fahren, dort stehen ihnen sechs reservierte Parkplätze zur Verfügung. In den Parkhäusern mit direkten Zugang zur Abfertigung stehen zwischen 75 und 129 Plätze bereit. Fahrer mit entsprechenden Kennzeichen parken bis zu einer Stunde kostenlos, darüber hinaus bezahlen sie 50 Prozent des regulären Preises. Die Anreise mit Bahn oder S-Bahn erfolgt am Terminal 1 und 2 (das ist der neue Flughafen) über den Tiefbahnsteig. Von dort führen Fahrstühle direkt in die Abfertigungshalle. Alle Lifte sind rollstuhlgeeignet. Auf dem Weg zum Gate und vom Vorfeld zum Gepäckband muss der Reisende mehrere Schleusen durchlaufen. Es gibt immer drei nebeneinander und rechts davon eine breitere, in der ein Elektrorollstuhl durchpassen würde. Es kann immer nur eine Person hindurch. Der Assistent muss also die Schleuse neben der Rollstuhlnutzerin benutzen.
Jawoll, man kann vom BER reisen
Das Fazit unsere Komparsenrollen ist durchwachsen. Vieles hat sich seit Constantin Groschs Bericht nicht verändert, anderes wurde elegant gelöst. Dank eines (dis)qualifizierten Begleiters hatten wir am Ende über 8.500 Schritte auf dem Schrittzähler des Assistenten. Die alles entscheidende Frage bleibt: Lohnt es sich, vom BER zu fliegen? Wir meinen ja, man muss als Rollstuhlnutzer nur mehr Zeit einplanen.