„Reine Postulate reichen nicht aus“
„Chancen der Partizipation müssen intensiv genutzt werden“, sagt Frau Dr. Gabriele Schlimper der BBZ im Interview. Schlimper ist Geschäftsführerin des Paritätischen Wohlfahrtsverband – Landesverband Berlin.
BBZ: Es gibt beim Paritätischen in Berlin viele Referate. Etwa das Referat Jugend- oder Suchthilfe oder eben auch das Referat Menschen mit Behinderung. Wie wichtig ist das Referat Menschen mit Behinderung und was umfasst das Referat eigentlich?
Dr. Schlimper: Im Paritätischen Berlin sind über 760 Mitgliedsorganisationen organisiert, davon fast 130 im Referat Menschen mit Behinderungen. Schon daran erkennt man die Bedeutung des Referats. Die Spannbreite unserer Mitglieder ist enorm: von kleinen Vereinen aus der Selbsthilfe und Selbstvertretung bis zu den großen Arbeitgebern im sozialen Bereich. Zu den zentralen Aufgaben gehört die gesamte fachpolitische Arbeit zu allen Teilhabebereichen behinderter Menschen: Mobilität, Kommunikation, Wohnen, Gesundheit, Arbeit, Frühförderung, Assistenz, Barrierefreiheit und sicher vieles mehr. Der aktuelle Schwerpunkt liegt dabei sicher auf der Umsetzung des Bundesteilhabegesetzes (BTHG) in Berlin.
BBZ: Im Zuge der Umsetzung des Bundesteilhabegesetzes (BTHG) wurde im Land Berlin ein Teilhabebeirat geschaffen. Hört sich nach Partizipation und Fortschritt an. Was meinen Sie dazu?
Dr. Schlimper: Der sogenannte Teilhabebeirat ist eine in der Tat eine neue Arbeitsgemeinschaft des Landes Berlin. Es kommt jetzt darauf an, die Kompetenzen und Empfehlungen des Beirats, der aus Vertreterinnen und Vertretern der Senatsverwaltung, der Freien Wohlfahrtspflege und des Landesbeirats für Menschen mit Behinderung besteht, wirksam zu nutzen und so mit Leben zu füllen, dass sich für die Menschen mit Behinderungen in Berlin tatsächlich etwas verbessert.
BBZ: Die jetzige Landesregierung ist nun eine ganze Weile im Amt und hat auch den ersten Haushalt verabschiedet. Welche Erwartungen hatten Sie an die jetzige Landesregierung und sind diese erfüllt worden?
Dr. Schlimper: In der Koalitionsvereinbarung aus dem Jahre 2016 wird an vielen Stellen auf Menschen mit Behinderungen Bezug genommen. Im Doppelhaushalt 2018/2019 finden sich jedoch nur wenige Zuwächse in diesem Bereich. Einiges wird investiert zum Beispiel in die geplante Einführung der Inklusionstaxen und in die Mobilitätshilfsdienste für ältere Menschen. Nicht ausreichend sind jedoch die Investitionen in die soziale und barrierefreie Infrastruktur für inklusive und unterstützende Wohnformen.
Versprochen wurde in der Koalitionsvereinbarung z. B. auch die verstärkte Förderung der Integrationsfachdienste. Nach dem ersatzlosen Auslaufen der „Initiative Inklusion“, einem Programm für Schulabgänger und Schulabgängerinnen mit Behinderungen ist davon jedoch nichts zu merken.
Und lassen Sie mich noch folgendes anmerken: Gerade im Bereich der Angebote für Menschen mit Behinderungen müssen wir uns gemeinsam mit unseren Partner, wie der Berliner Behindertenverband viel stärker mit inhaltlichen und strategischen Fragen auseinandersetzen und die Chancen, die die Partizipation von Menschen mit Behinderungen bietet auch intensiv zu nutzen.
BBZ: Der Berliner Behindertenverband organisiert gemeinsam mit anderen Vereinen einen Protesttag zur Gleichstellung von Menschen mit Behinderung. So auch dieses Jahr am 05. Mai. Letztes Jahr demonstrierten sie mit. Darf ich fragen weshalb?
Dr. Schlimper: Bei der Gleichstellung von Menschen mit und ohne Behinderung ist noch viel zu tun. Reine Postulate reichen dafür nicht aus. Wichtig ist es, dass wir uns immer wieder auf unterschiedlichen Ebenen dafür einsetzen. Dazu gehört aber auch, dass wir es laut und deutlich nach außen tragen und auf die Problematik aufmerksam machen. Die Demonstration hat dazu eindrucksvoll und enorm beigetragen und im Übrigen auch riesig Spaß gemacht.
BBZ: Sie haben derzeit eine Aktion laufen, wonach Mitglieder des Paritätischen Berlin eine 10%-ige Erstattung des Anzeigenpreises bei Stellenanzeigen erhalten. Diese Aktion beinhaltet auch Stellenanzeigen in der Berliner Behindertenzeitung. Weshalb diese Aktion?
Dr. Schlimper: Wir leben in einer Zeit eines zunehmenden Fachkräftemangels. Für soziale Organisationen wird es immer schwieriger, gut qualifiziertes Personal zu finden. Wir möchten unsere Mitglieder bei der Suche nach geeignetem Personal in unterschiedlicher Weise unterstützen. Dazu zählt auch die anteilige Erstattung der Kosten für eine Stellenanzeige. Voraussetzung ist, dass unser Logo auch auf der Stellenanzeige erscheint. Die Berliner Behindertenzeitung hat eine enorme Reichweite. Wir wünschen uns, dass immer mehr Menschen mit und ohne Behinderungen in der sozialen Arbeit gemeinsam tätig sind. Daher lohnt es sich für unsere Mitglieder auch, ihre Anzeigen in der Zeitung zu schalten. Und das unterstützen wir sehr gern.
BBZ: Wie wichtig ist für Sie – als Geschäftsführerin der Parität – ehrenamtliches Engagement?
Dr. Schlimper: Ich bin fest davon überzeugt, dass Menschen spüren, wenn etwas nicht stimmt, wenn sie etwas verändert haben möchten. Sie engagieren sich dort, wo sie glauben und wissen, dass sie mit ihrem Engagement etwas erreichen, etwas verbessern können. Sie engagieren sich in vielfacher und vielfältiger Weise, in der Nachbarschaftsarbeit, der Selbsthilfe oder der Hilfe für Andere. Das zeigen eindrucksvoll auch die aktuellen Erfahrungen in der Flüchtlingshilfe.
Wenn soziale Organisationen ihr eigenes professionelles Potential mit der Phantasie, der Kreativität und dem Willen von freiwillig engagierten Bürgerinnen und Bürgern verknüpfen, dann sind sie als Akteure der Freien Wohlfahrtspflege immer am Puls der Zeit. Sie wissen dann gemeinsam, was richtig ist. Das Wesentliche ist, dass dieses Zusammenwirken von professioneller sozialer Arbeit mit der Vielzahl und der Vielfalt des bürgerschaftlichen Engagements auch tatsächlich verstanden und dadurch möglich wird. Die Förderung dieses Zusammenwirkens und die Förderung des bürgerschaftlichen Engagements sind deshalb für mich grundlegend für die Eigenständigkeit und für das Profil der freien Wohlfahrtspflege und bleiben folglich eine zentrale Aufgabe.
BBZ: Frau Dr. Schlimper, wir bedanken uns herzlich für das Interview.
INFOKASTEN: Person & Parität
Zur Person: Im September 2014 wurde Frau Dr. Schlimper zunächst stellvertretende Geschäftsführerin. Im Juni 2015 wurde sie vom Vorstand einstimmig zur Nachfolgerin Oswald Menningers bestimmt. Ihr Amt als Geschäftsführerin des Paritätischen Landesverbandes Berlin trat Gabriele Schlimper am 01. Januar 2016 an.
Zur Parität: Das Referat „Menschen mit Behinderungen“ wird von Ulrike Pohl geleitet. Darüber hinaus ist Dominik Peter stellvertretender Vorsitzender der Parität. Beide Personen sind behindert. Damit ist die Parität vorbildlich inklusiv aufgestellt.