Lebenshilfe: Intensivpflege-Gesetz darf so nicht verabschiedet werden
Zur öffentlichen Anhörung zum Intensivpflege- und Rehabilitationsstärkungsgesetz (IPReG) im Bundestag meldet sich Lebenshilfe-Bundesvorsitzende Ulla Schmidt, MdB und frühere Gesundheitsministerin zu Wort: „Das höchst umstrittene Gesetzesvorhaben darf so nicht verabschiedet werden. Menschen, die auf Intensivpflege wie Beatmung angewiesen sind, müssen sonst fürchten, dass sie aus ihrem vertrauten Zuhause in ein Pflegeheim umziehen müssen. Das ist untragbar: Der kranke Mensch muss unter allen Umständen selbst über seinen Lebensmittelpunkt entscheiden! Keinesfalls darf der Medizinische Dienst dieses Grundrecht missachten, einschränken oder übergehen. Vielmehr sollte der Medizinische Dienst den Patientinnen und Patienten sowie deren Angehörigen beratend zur Seite stehen, um die intensivpflegerische Versorgung im gewünschten Lebensumfeld der Versicherten sicherzustellen.“
Zum Hintergrund: Nach dem Gesetzentwurf verlieren Intensivpflegepatient*innen ihren Anspruch auf häusliche Versorgung, wenn die Pflege dort nicht „tatsächlich und dauerhaft“ sichergestellt werden kann oder sie dem Medizinischen Dienst die Prüfung verweigern. Angesichts des derzeitigen Pflegepersonalmangels ist damit zu rechnen, dass der Anspruch auf häusliche Versorgung praktisch ausgehebelt wird. Damit werden Mängel im Versorgungssystem auf dem Rücken der Versicherten ausgetragen. Das ist nicht hinnehmbar. Es obliegt vielmehr der Krankenversicherung, die pflegerische Versorgung durch geeignete Maßnahmen auch zu Hause tatsächlich und dauerhaft sicherzustellen. Kann sie dies nicht, müssen Versicherte auch weiterhin die Möglichkeit haben, sich gemäß § 37 Absatz 4 Sozialgesetzbuch (SGB) V selbst eine Pflege- oder Assistenzkraft zu besorgen und über die Krankenkasse zu refinanzieren.
Außerdem ist zu befürchten, dass Menschen mit Behinderung Intensivpflege nicht mehr wie bisher in allen Formen des betreuten Wohnens erhalten können. Nach der vorgesehenen Neuregelung kann Intensivpflege gemäß § 37 c Absatz 2 Satz 1 Nummer 2 SGB V nur noch in betreuten Wohnformen erbracht werden, in denen der Versorgungsumfang einem stationären Setting entspricht. Wohnformen mit einem geringeren Versorgungsumfang sind nicht mehr erfasst. Sie sind auch nicht in § 37 c Absatz 2 Satz 1 Nummer 4 SGB V, der die Intensivpflege im eigenen Haushalt vorsieht, erwähnt. Diese Neuregelung verkennt, dass die betreute Wohnform das Zuhause der Menschen ist. Es muss sichergestellt werden, dass Menschen mit Behinderung – wie bisher – in allen Wohnformen Intensivpflege erhalten können. In § 37 c Absatz 2 Satz 1 Nummer 4 SGB V muss daher neben der Versorgung im eigenen Haushalt und in der Familie auch die Versorgung in betreuten Wohnformen ausdrücklich genannt werden.
Schließlich werden Intensivpflegepatient*innen, die eine häusliche Versorgung wünschen, bei der Zuzahlung benachteiligt. Diese ist nicht mehr wie bisher auf 28 Kalendertage begrenzt. Wählen Versicherte eine stationäre Versorgung, bleibt es dagegen bei der Begrenzung. Diese Ungleichbehandlung muss beseitigt werden. Die Bundesvereinigung Lebenshilfe hat – zum Teil auch gemeinsam mit den Fachverbänden für Menschen mit Behinderung – während des Gesetzgebungsverfahrens die geplanten Änderungen bereits mehrfach kritisiert.
Hier die Links zu den verschiedenen Stellungnahmen:
https://www.lebenshilfe.de/fileadmin/user_upload/20190905_Stellungnahme_KFV_zum_RefE_RISG.pdf