Über Inklusionsheuchler, Querschnittsaufgabe und Idealbilder

Im November gibt es wieder eine gemeinsame Veranstaltung von den Vereinen Sozialdenker e.V. und Berliner Behindertenverband e.V. (Kurzform BBV). An der Veranstaltung werden führende Persönlichkeiten aus der Politik, der Verwaltung und der Behindertenbewegung teilnehmen. Über die Idee und die Ziele der Veranstaltung sprach Dominik Peter (Vorsitzender Berliner Behindertenverband) mit Gerd Miedthank (Vorsitzender Sozialdenker), der die Idee zu dem Thema hatte.

BBZ: Was treibt dich inhaltlich an, eine Veranstaltung mit diesem Motto zu planen?

Gerd Miedthank: Meiner Meinung nach bedeutet Inklusion nicht nur Politik für Menschen mit Behinderungen. Inklusion ist Politik für alle Menschen und betrifft alle gesellschaftlichen Bereiche. Deswegen muss sie eine Querschnittsaufgabe für alle Ressorts der Bundes- und Landesregierung sein. Dieses Verständnis kann ich noch nicht feststellen. Genauer gesagt, nicht nur die Arbeitsmarkt-, Gesundheits- und Sozialpolitik ist tangiert, sondern auch zum Beispiel die Wirtschafts-, Finanz-, Familien- oder die Bildungspolitik. Die Perspektive der Menschen mit Behinderungen muss überall berücksichtigt werden.

BBZ: Und wo ist die inhaltliche Brücke zur Aussage „Demokratie retten“?

Gerd Miedthank: Mit dem Einzug einer rechten Partei in den Deutschen Bundestag und in den Länderparlamenten hat sich Deutschland politisch verändert. Wir erleben seit Jahren einen massiven Rechtsruck, in all seinen gefährlichen Strömungen in unserem Land. Zu diesem gesellschaftlichen Wandel, der die Spaltung unserer Gesellschaft vorantreibt, brauchen wir Antworten. Die Antwort darauf kann nur die Schaffung einer inklusiven Wertegesellschaft sein. In einer vielfältigen und gut funktionierenden Demokratie brauchen doch alle Menschen Wertschätzung, faire Chancen und umfassende Möglichkeiten der Teilhabe. Wenn wir dies allen Menschen zu Gute kommen lassen, wächst unsere Gesellschaft doch wieder zusammen.

BBZ: Was brächte die Umsetzung von Inklusion der gesamten Gesellschaft?

Gerd Miedthank: Neben den bereits gerade genannten Punkte, sind es doch enorm viele Vorteile, die der gesamten Gesellschaft zu Gute kämen. Ich möchte es an Beispielen verdeutlichen. Sowohl der BBV als auch andere Verbände fordern Barrierefreiheit verpflichtend auch für die Privatwirtschaft gesetzlich zu verankern. Wenn daher also Arztpraxen, Apotheken oder auch Schwimmbäder barrierefrei zugänglich wären, wäre dies doch ein mehr an Komfort für alle Menschen. Wenn es barrierefreie Toiletten an Bord von Flugzeugen gäbe, die natürlich größer wären als die jetzigen Kleinstzellen, würden sich viele Passagiere darüber freuen. Oder nehmen wir das Beispiel „Leichte Sprache“. Schon Bundeskanzler Helmut Schmidt (SPD) monierte, dass die Stromrechnungen nicht mehr verständlich sind. Kaum ein Bürger versteht heute noch Bescheide vom Amt. Leichte Sprache würde hier also nicht nur den Menschen helfen, die unabdingbar darauf angewiesen sind, sondern es wäre ein Komfort für alle Bürger.

BBZ: Ich sagte neulich, dass seit Jahren die eigentliche Wirkungskraft von Inklusion völlig verkannt wird. Ist dies deiner Meinung nach richtig?

Gerd Miedthank: Voll und ganz, deswegen moderierst du ja auch die Veranstaltung (lacht). Ja, Inklusion konnte bisher seine volle Wirkung aber deshalb nicht voll entfalten, weil einerseits immer wieder Finanzvorbehalte als Argumente vorgebracht werden und weil Inklusion immer noch nicht als Querschnittsaufgabe gedacht wird. Daher muss die Behindertenbewegung auch immer wieder Rückschritte abwehren. Erst wenn  gesamtgesellschaftlich ein Konsens über Inklusion hergestellt wurde, werden Rückschritte überhaupt nicht mehr als Vorschläge seitens der Politik eingebracht werdöen. Dann ist Schluss mit diesen Inklusionsheuchlern, die über Inklusion nur reden, aber diese niemals gesellschaftlich Umsetzen wollen. Über das Frauenwahlrecht vor 100 Jahren wird ja auch nicht mehr debattiert.

BBZ: Gerd, besten Dank für das Interview.

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