Stabilität und Selbstakzeptanz – Die SHG Borderline in Marzahn-Hellersdorf

„Sich irgendwie treffen ist besser als gar nicht treffen, auch wenn nur virtuell, hybrid oder mit reduzierter Personenzahl in Präsenz“, bringt es Tilman Pfeiffer, Leiter der Kontaktstelle Wuhletal am Ende unseres Gesprächs auf den Punkt. „Von etwa 100 Gruppen im Bezirk haben 90 durchgehalten und Gruppen, die sich auflösen, gab es natürlich auch vor der Pandemie.“ Er berichtet außerdem: „Aktuell treffen sich bei uns Gruppen, die sich vor Corona in einem der Stadtteilzentren oder in der Klinik Kaulsdorf trafen, dort aber zur Zeit aufgrund der Coronaverordnung keine Gruppentreffen durchführen können. Anderen stellen wir einen Zugang für virtuelle Treffen zur Verfügung.“

„Die Gruppenregeln sind für jede Selbsthilfegruppe wichtig, aber bei uns vielleicht noch wichtiger.“ Susen und Isabel sind Ansprechpartnerinnen für die SHG Borderline in Marzahn-Hellersdorf und nehmen sich vor ihrem wöchentlich stattfindendem Gruppentreffen am Montagabend Zeit für ein Gespräch über ihre die Erkrankung, die weniger bekannt ist als Depressionen oder Sucht, aber nicht selten genau mit diesen Symptomen einher geht. „Wir wollen darüber sprechen, damit mehr Menschen erfahren, dass Selbsthilfe wirkt und es Gruppen für Borderline in Berlin gibt,“ erklärt Susen (40) ihre Motivation für unser Interview. „Gegründet habe ich die Gruppe Ende 2019, ein paar Monate später kam Corona und seitdem finden unsere Treffen virtuell statt“, berichte sie, die seit über zwanzig Jahren mit der Diagnose Borderline lebt und schon viele Therapien kennengelernt hat. „Ich war auch schon in stationärer Behandlung und als ich vor vier Jahren aus Lübeck nach Berlin kam, wollte ich meine Erfahrungen in der Selbsthilfe einbringen. Ich war früher schon in einer Gruppe `Morbus Crohn`, aber wichtiger war es mir, in Berlin eine Gruppe für Borderline zu finden oder eben zu gründen.“ 

Isabel (23) kam im vergangenen Jahr dazu und erzählt: “Manche kennen den Namen Borderline (auch emotional instabile Persönlichkeitsstörung oder BPS) und denken nur an selbstverletzendes Verhalten, aber die meisten Betroffenen haben eine Vielzahl an Symptomen. Besonders schwierig für die Arbeit in der Gruppe sind die Wutausbrüche oder die Gefahr, etwas bei den anderen Teilnehmenden zu triggern. Wir verwenden z.B. für das selbstverletzende Verhalten das Codewort „Quitscheentchen“ und bei Wutausbrüchen ist es wichtig, dass wir als Gruppe achtsam sind.“ Experten schätzen, dass Männer genauso häufig unter der BPS leiden, sich aber seltener in Behandlung begeben.

Die Lage der Kontaktstelle ist in zweierlei Hinsicht besonders. Einerseits liegt sie im Grünen und kann mit einer großen Terrasse aufwarten, auf der auch unter freiem Himmel Gruppentreffen stattfinden, andererseits ist die Beratungsstelle für Sucht unmittelbar vor Ort, so dass dieses Thema einen Schwerpunkt bildet, mehr noch als in anderen Bezirken. Und es gibt seit März noch eine Verbindung zum Thema Sucht. Björn Wagner (34) hat selbst 16 Jahre Erfahrungen mit sogenannten harten Drogen gemacht und ist seit 2017 Mitglied in einer Selbsthilfegruppe. Nach einem langen Weg, der ihn u.a. zu der bekannten Berliner Hilfsorganisation Synanon führte, ist er jetzt Mitarbeiter in der Kontaktstelle und damit einer der wenigen Peers unter dem Mitarbeitenden der Kontaktstellen. „Bei Synanon haben mir nicht nur die Menschen geholfen, sondern ganz besonders Natur und Tiere waren hilfreich. Ich habe dort als Pferdepfleger gearbeitet“, berichtet Björn. Während des Videoanrufs liegt ein Hund in seinem Büro. „Im vergangenen Jahr habe ich dann in Potsdam bzw. beim Paritätischen Bildungswerk 168 Stunden (coronabedingt online) die Fortbildung zum Suchthelfer gemacht. „Die eigene Lebensgeschichte hilft manchmal in Beratungen, aber ich mache hier meistens die ganz normale Arbeit in einer Selbsthilfekontaktstelle und das ist viel Büroarbeit.“ Während Björn erst wenige Wochen dabei ist, feierte Tilmann Pfeiffer im vergangenen Monat sein 20jähriges Dienstjubiläum (davon 13 Jahre in der Kontaktstelle). Wir gratulieren!

Synanon, gegründet 1958 in den USA, war weltweit eine der ersten Selbsthilfeorganisation. In Berlin ist Synanon seit 1971 erfolgreich tätig. Suchtselbsthilfe – STIFTUNG SYNANON – Leben ohne Drogen (synanon-aktuell.de).

Informationen: Selbsthilfe-, Kontakt- und Beratungsstelle Marzahn-Hellersdorf
Alt Marzahn 59 a, 12685 Berlin
Tel.: 030 54 25 103
Mail: selbsthilfe@wuhletal.de
Web: www.wuhletal.de

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