„Mein Körper braucht mich jetzt“

Im vergangenen Jahr hatten wir im Rahmen unserer Serie über Selbsthilfe über verschiedenen Institutionen und Akteure berichtet, unter anderem auch über das Projekt AnaDismissed. Lea Gericke (33) ist die Initiatorin und Leiterin des SEKIS Projekts, das von der AOK Nordost gefördert wird, und sehr erfolgreich Menschen mit Essstörungen hilft. 

Die Zahl der Gruppen in der Stadt ist mittlerweile zweistellig, es gibt zwei Gruppen für Angehörige und rein virtuelle Gruppen. Weitere befinden sich in Gründung. Der Bedarf ist groß und anscheinend fehlten bisher die Angebote in der Selbsthilfe oder Lea hat mit ihrem Ansatz den richtigen Weg gefunden, um so viele Betroffene zusammen zu bringen. Sie bezeichnet ihre Arbeit selbst als Berufung und ist momentan voll damit beschäftigt, die Gruppen zu begleiten, Einzelgespräche zu führen und Öffentlichkeitsarbeit zu betreiben. Immer dabei ist Aik, ihr vierbeiniger Unterstützer. Aik kam im April 2016 dazu, nachdem Lea ein Jahr zuvor ihren Weg der Genesung, neudeutsch Recoveryprozess, begonnen hatte.

Seit ihrem 13. Lebensjahr, aber spätestens mit 14 oder 15 Jahren, hatte Lea viele Jahre mit einer schweren Essstörung zu kämpfen, wog am Tiefpunkt nur noch 27 Kg und war dadurch akut gefährdet und seitens der Mediziner „austherapiert“. Motiviert durch eine neue Bekanntschaft hat sie im Winter 2014 / 2015 angefangen, neue Wege auszuprobieren. Dazu gehörte das Absetzen von Antidepressiva. „Das war meine persönliche Entscheidung, ich bin nicht grundsätzlich gegen Medikation“, betont Lea in unserem Videotelefonat. „Zwei weitere Ereignisse waren damals einschneidend. Ein weiterer Klinikaufenthalt mit der Bestätigung der Diagnose „Multipler Sklerose“ (MS) und das Einschläfern meiner Ponystute. Beides hatte einen Effekt. Ich fühlte erstmals Distanz zu meiner Essstörung und hatte das Gefühl, mein Körper braucht mich jetzt. Ich musste etwas tun, gegen das Untergewicht, um eine Chance zu haben.“ Lea bringt es auf den Punkt, wenn sie fortfährt: “Mit jedem Kilo kam Leben zurück, sowohl körperlich als auch kognitiv, mehr Energie fürs Leben“.

Aik kam als Welpe zu Lea, die nicht nur durch den Verlust ihres Pferdes eine Lücke spürte, sondern auch grundsätzlich nicht so leicht soziale Kontakte eingehen konnte. Einsamkeit ist ein großes Thema für viele Menschen und viele Hunde sind Meister im Knüpfen sozialer Kontakte, nicht nur für sich, sondern auch für ihre Zweibeiner. Der Autor kennt diese wunderbare Wirkung durch seinen Husky, der seit 2018 auch Bürohund im BBV ist. 

Lea nennt Aik eine „Kommunikationsbrücke“, er gibt ihr bei Interaktionen, die ihr nicht so leicht fallen, oft Zeit sich selbst zu „akklimatisieren“. Eine Ausbildung zum Therapiebegleithund erlaubt es Aik, ein entsprechendes Halstuch zu tragen. „Er ist kein Assistenzhund, aber er ist wichtig für mich“, stellt Lea klar und erklärt, dass Aik und sie offiziell nicht die Vorzüge des neuen Assistenzhundegesetzes in Anspruch nehmen dürfen, also Zutrittsrechte zu nahezu allen Orten, wo Menschen hingehen und Hunde bisher nicht begleiten durften. „Er ist mein persönlicher „Feelgood-Manager“ und manchmal auch für diejenigen, die ich berate, coache oder für eine ganze Selbsthilfegruppe.“

Lea hat seit dem Beginn ihres Projekts vor gut drei Jahren, das mit einerGruppe bei ihr zuhause begann, einen erstaunlichen Weg gemacht. Sie leitet das Projekt, hat ein Studium (B.Sc.) zum Life Coach absolviert, das Ernährungswissenschaften, Psychologie, Sport- und Trainingswissenschaften, Kommunikationswissenschaften, Beratung und Coaching, Teamentwicklung sowie Stress-
management miteinander vereint. Zudem hat sie ein Buch geschrieben („AnaDismissed – Meine Kampfansage an die Magersucht“). 

Wir vom BBV kennen Lea und Aik auch schon, seit die beiden auf den Plakaten für unsere Veranstaltung Aktionstag Selbsthilfe vor zwei Jahren auf dem Potsdamer Platz zu sehen waren. Es gibt nur wenige Personen, die es schaffen, nach der eigenen Erkrankung ein so großes Selbsthilfeprojekt auf den Weg zu bringen und dadurch vielen anderen Betroffenen zu helfen. Schätzungen zufolge sind 3-5% der Bevölkerung betroffen und bei Jugendlichen (zwischen 11 und 17 Jahren) zeigt sogar ein Fünftel Symptome einer Essstörung.  Mehr über das Projekt und Selbsthilfegruppen bei Essstörungen (Anorexia nervosa, Bulimia nervosa, Orthorexia nervosa, Binge-Eating) finden sich unter www.ana-dismissed.de 

AOK Logo
Diese Artikelseite wird durch die AOK Nordost unterstützt.

Von: