Anhebung der Schwerbehindertenquote – Verdoppelung der Ausgleichsabgabe
Dominik Peter sprach mit der kämpferischen Ursula Engelen-Kefer unter anderem über Arbeitslosigkeit, Hartz IV, Altersarmut, Inklusion und Barrierefreiheit. Engelen-Kefer war unter anderem von 1990 bis 2006 stellvertretende Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbunds, von 1986 bis 2009 im Bundesvorstand der SPD und ist seit März 2019 Vorsitzende des Landesverbandes Berlin-Brandenburg des Sozialverbands Deutschland (SoVD).
BBZ: Frau Engelen-Kefer, Sie sind Landesvorsitzende beim SoVD. Wie läuft es in Ihrem Verband?
Engelen-Kefer: Die langen Einschränkungen der Corona-Pandemie haben uns vor große Herausforderungen gestellt. Unsere Sozial- und auch die Rechtsberatung mussten aufrecht erhalten bleiben, aber weitestgehend kontaktlos über Telefon oder E-Mail erfolgen. Unser Verbandsleben, das für viele Mitglieder verlässliche soziale Kontakte und auch Teilhabe am gesellschaftlichen Leben gewährleistet, war teilweise eingestellt, und wir hatten deshalb eine große Telefonaktion zum Kontakterhalt gestartet. Seit Sommer dieses Jahres geht es wieder bergauf. Wir spüren einen großen Nachholbedarf bei unseren Mitgliedern. Die Pandemie hat zu einer starken Zunahme von Einsamkeit, besonders bei älteren Menschen, geführt.
BBZ: Welche Problemfelder sind für Sie derzeit am wichtigsten?
Engelen-Kefer: Die Probleme erwerbsgeminderter und behinderter Menschen spielen in unserer Arbeit eine große Rolle. Die Problemlagen sind hier vielschichtig und es geht vielfach darum, die Betroffenen zu informieren und dabei zu unterstützen, ihre rechtlichen Ansprüche zu kennen und auch wahrnehmen zu können. Auch die Anliegen von Senioren und Seniorinnen und von erwerbslosen Menschen sind und bleiben natürlich eine wesentliche Aufgabe für uns als Sozialverband. Hier geht es um Fragen zu Rente, Pflege, aber auch um die Existenzsicherung bei Arbeitslosigkeit und Hartz IV oder Altersarmut. Inklusion und Barrierefreiheit gewinnen zunehmende Bedeutung.
BBZ: Die Wahlen zum Deutschen Bundestag und Berliner Abgeordnetenhaus liegen hinter uns. Welche Aufgaben müssten die neue Bundesregierung und der neue Berliner Senat zuerst anpacken?
Engelen-Kefer: Zuallererst kommt es darauf an, dass nicht der Rotstift in der Finanz- und Haushaltspolitik bei den sozialen Maßnahmen angesetzt wird. Dies gilt für den Bund und das Land Berlin. Erforderlich ist vielmehr eine gerechte Steuerpolitik. Dazu gehören die Erhöhung des Spitzensteuersatzes sowie die Wiedereinführung der Vermögenssteuer. Erforderlich ist ebenso die Abschaffung der rigorosen Schuldenbremse im Grundgesetz. Gerade die Corona-Pandemie hat uns wie in einem Brennglas die sozialen Ungerechtigkeiten zu Lasten der sozial schwächeren Gruppen vor Augen geführt. Ich nenne hierbei nur die tatsächliche und drohende Armut bei Arbeit und im Alter – insbesondere von Frauen – oder den Skandal von annähernd drei Millionen Kindern, die in Armut aufwachsen. Das betrifft insbesondere die Alleinerziehenden-Haushalte. Deshalb fordern wir einen armutsfesten Mindestlohn von 13 Euro, die Stärkung der gesetzlichen Rente und eine Kindergrundsicherung. Auch die explodierenden Wohnkosten sind für uns als Sozialverband gerade in der Mieterstadt Berlin eine besondere sozialpolitische Herausforderung. Als einem der großen Behindertenverbände im Bund und in Berlin geht es uns vor allem darum, die gesellschaftliche Teilhabe der acht Millionen Menschen mit ihren vielfältigsten Behinderungen voranzubringen.
Ich kann daher nur sehr bedauern, dass dies im Wahlkampf eine untergeordnete Rolle gespielt hat. Umso mehr werden wir uns dafür einsetzen, dass bei den Koalitionsvereinbarungen im Bund und im Land Berlin Inklusion und Barrierefreiheit die ihnen zukommende Bedeutung erhalten.
BBZ: Kommen wir mal zu den Inklusionstaxis, was ja aus einem SoVD-Projekt hervorging. Was meinen Sie zu der doch sehr mageren Umsetzung?
Engelen-Kefer: Wir sind sehr froh, dass es gelungen ist, in der Novelle des Personenbeförderungsgesetzes auch für Taxen ein Mindestmaß an Barrierefreiheit zu verankern, selbst wenn wir uns dabei mehr gewünscht hätten. Damit haben wir aber endlich eine gesetzliche Grundlage für die Verbreiterung des Einsatzes von Inklusionstaxis. In Berlin ist es außerdem gelungen, schon im letzten Zweijahreshaushalt ein eigenes Budget für die Förderung der Umrüstungen zu Inklusionstaxis durch das LAGeSo zu erreichen. Dies muss in den nächsten Haushalten fortgeführt werden. Wir werden uns als Verband weiterhin dafür einsetzen, dass Menschen mit Behinderungen zur Unterstützung ihrer Mobilität verlässliche und bezahlbare Inklusionstaxis nutzen können. Denn das bedeutet die Freiheit, spontan unterwegs sein zu können, und ist damit ein Gewinn an Unabhängigkeit. Dies war in Berlin leider bislang nicht einmal bei den notwendigen Fahrten zu den Corona-Impfzentren der Fall.
BBZ: Menschen mit Behinderung haben es auf dem ersten Arbeitsmarkt besonders schwer. Die Zahlen sprechen ein deutliches Bild. Welche Maßnahmen sollten ergriffen werden, dass sich dies ändert? Andersrum gefragt, würde eine erhebliche Anhebung der Ausgleichsabgabe helfen?
Engelen-Kefer: Zu einem inklusiven Arbeitsmarkt gehören nach unserer Auffassung ganz entscheidend die Wiederanhebung der Schwerbehindertenquote auf sechs Prozent und mindestens die Verdoppelung der Ausgleichsabgabe. Ein überwiegender Teil der Arbeitgeber hält die gesetzliche Pflicht zur Beschäftigung schwerbehinderter Menschen nicht ein. Dann ist es nur recht und billig, dass sie sich zumindest an den Kosten der Integration schwerbehinderter Menschen in Arbeit und Beruf beteiligen. Erforderlich sind hierbei auch die Verstärkung der Förderung von Inklusionsbetrieben und eine erhebliche Verbesserung der Löhne in den Werkstätten für Menschen mit Behinderungen.
BBZ: Meiner Meinung nach ist die Umsetzung von Inklusion eine Querschnittsaufgabe. Ich finde aber, das hat sich sowohl in der Bundes- als auch die Landespolitik noch nicht etabliert. Wie sehen Sie dies?
Engelen-Kefer: Ich kann da nur voll zustimmen. Sowohl im Bund, aber auch im Land Berlin einschließlich seiner Bezirke müssen die Funktionen der Beauftragten für Menschen mit Behinderungen inhaltlich und organisatorisch, aber auch finanziell und personell erheblich gestärkt werden. Deshalb engagieren wir uns als SoVD-Landesverband im Berliner Behindertenparlament. Wir setzen uns dafür ein, die immer noch vorhandenen gravierenden Diskriminierungen in allen gesellschaftlichen Bereichen und die alltäglichen Hürden, die Menschen mit Behinderungen ständig erfahren und bewältigen müssen, einer breiten Öffentlichkeit deutlich zu machen. Ebenso muss es auch gelingen, Lösungen zur Beseitigung dieser strukturellen Ausgrenzungen auf breiter politischer Ebene zu suchen und zu finden. Ich kann nur hoffen, dass die konkrete Arbeit im Berliner Behindertenparlament fortgeführt wird. Wir werden uns als SoVD nach Kräften daran beteiligen.
BBZ: Dank für das Gespräch.