Zur Diskussion über Werkstätten für behinderte Menschen

Werkstätten für behinderte Menschen (WfbM) stehen schon seit längerem in der Kritik. Sie seien nicht inklusiv, würden die Beschäftigten in den Werkstätten halten und den Übergang auf den allgemeinen Arbeitsmarkt erschweren. Zudem würden die Werkstatt-Beschäftigten viel zu wenig verdienen. Insgesamt lasse das verkrustete System der Werkstätten keine Veränderungen zu und müsse komplett abgeschafft werden. So die Hauptargumente. An Schärfe hat diese Diskussion durch eine Petition von Lukas Krämer gewonnen. Er fordert den Mindestlohn für Werkstatt-Beschäftigte, spricht von Ausbeutung und moderner Sklaverei. Das klingt heftig.  Was ist dran an dieser Kritik? 

Mehr Transparenz im Entgeltsystem

Auf dem ersten Blick erscheint ein Entgelt von höchstens 200 € im Monat natürlich als absolut ungerecht. Tatsächlich ist das derzeitige System kompliziert und nicht unbedingt leicht durchschaubar. Denn die Beschäftigten erhalten nicht nur das Werkstatt-Entgelt, sondern weitere Leistungen, wie z.B. Grundsicherung oder Rente und dies aus verschiedenen Töpfen – so ist es vom Gesetzgeber festgelegt. Eine größere Transparenz wollen hier sowohl die Bundesarbeitsgemeinschaft der Werkstätten für behinderte Menschen (BAG WfbM), als auch die Werkstatträte Deutschland schaffen. Zusammen mit dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) arbeiten sie seit Jahren aktiv daran, das Entgeltsystem zu einer „Bezahlung aus einer Hand“ zu reformieren.

Allerdings muss hier klar sein, dass es immer ein subventionierter Arbeitsmarkt bleiben wird. Denn die Menschen mit Behinderung in Werkstätten haben eine Erwerbsminderung. Das heißt, sie können weniger als drei Stunden täglich unter den üblichen Bedingungen des Arbeitsmarktes arbeiten und somit nicht kontinuierlich ihren eigenen Mindestlohn erwirtschaften.

Selbstbestimmung: Niemand wird gezwungen, in einer Werkstatt zu arbeiten

Sicher ist etwas dran an dem Vorwand, dass Werkstätten ein „verkrustetes“ System seien und sich seit 70 Jahren nicht verändert hätten. Über 700 Werkstätten gibt es bundesweit, viele vereinzelt im ländlichen Raum und damit oft ohne Alternative für Menschen mit Behinderung. Hier mag es mitunter so sein, dass die Notwendigkeit der Veränderung nicht unbedingt dringlich erscheint. Anders ist es aber im urbanen Umfeld. In Berlin gibt es allein 17 Werkstätten für behinderte Menschen, die gewissermaßen auch im Wettbewerb zueinanderstehen. Die behinderten Menschen haben die Wahl – und prüfen sehr genau, welches Werkstatt-Angebot zu ihnen passt. Und welches ihren Anforderungen an beruflicher Bildung und Teilhabe entspricht.

Wie gelingt der Übergang auf den allgemeinen Arbeitsmarkt?

Tatsächlich sind die Überleitungen von Menschen mit Behinderung aus den Werkstätten auf den allgemeinen Arbeitsmarkt verschwindend gering. Das ist auf viele Faktoren zurückzuführen: an der geringen Bereitschaft von Unternehmen, Menschen mit Behinderung zu beschäftigen (nur 40% der deutschen Unternehmen beschäftigten so viele Schwerbehinderte wie gesetzlich gefordert), an den nicht immer leicht zu durchschauenden Vorgaben – aber auch an den Werkstätten selbst, die sich hier erst langsam auf den Weg machen. Da gibt es noch einiges zu tun – auf allen Seiten.

Was bewirkt der Ruf nach Abschaffung der Werkstätten?

Sicher braucht es Aktivisten und Mahner, die auf Missstände hinweisen und Veränderungen einfordern. Doch ist die Abschaffung der Werkstätten der richtige Weg zur Inklusion? Auf jeden Fall sollte man auch hier mit den Menschen, die in den Werkstätten arbeiten, sprechen und nicht nur über sie. Ein Großteil der Beschäftigten wolle nicht aus den WfbM auf den 1. Arbeitsmarkt wechseln, so Beatrix Babenschneider, Vorsitzende der Berliner Werkstatträte. Und viele sind aufgrund der anhaltenden Kritik verunsichert. Aber nicht darüber, dass sie scheinbar ausgebeutet werden. Vielmehr haben sie Angst davor, dass die Werkstätten tatsächlich abgeschafft werden könnten. Denn dann würden sie den Ort verlieren, an dem sie sich sicher fühlen und sie die Rahmenbedingungen finden, die ihnen ein gutes Arbeiten ermöglichen.

Auf jeden Fall lohnt ein differenzierterer Blick, ein Entweder Oder ist zu kurz gedacht. Wichtig wäre es vielmehr, Menschen mit Behinderung die Wahl zu lassen – aus einer Vielzahl von Angeboten, die jedem mit seinen
speziellen Bedürfnissen die Teilhabe am Arbeitsleben ermöglicht – sei es (unterstützt) auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt, im sicheren Rahmen einer Werkstatt oder in einer anderen Maßnahme. Diese Vielfalt zu erweitern,
daran sollten wir gemeinsam arbeiten.

Von: