Ein Theaterstück vom Verein Theater die Tonne e.V. Reutlingen

BBZ/GM Mit diesem Theaterstück widmet sich das Theater „Die Tonne“ aus Reutlingen einem historischen Ereignis: dem Euthanasie-Verbrechen im Nationalsozialismus. 

Bei der Gedenkveranstaltung am 02.09.22 in der Tiergartenstraße 4 (Gedenkort-T4- vor der Berliner Philharmonie), dem Gedenk- und Informationsort für die Opfer der nationalsozialistischen „Euthanasie“-Morde (https://www.gedenkort-t4.eu/de), gastierte „Die Tonne“ auch in Berlin. Alles beginnt ruhig. Drei Ensemblemitglieder*in berichten in kurzen Erzählsequenzen von ihrem ersten Besuch auf dem Schloss Grafeneck. Von der schönen Landschaft, den Geräuschen, dem eisigen Wind, der ihnen auf dem Weg zum Gedenkbuch mit dem Namen der 10.654 Opfer entgegen wehte. Denn: „Mich hätte es auf jeden Fall auch erwischt.“ Die Ensemblemitglieder geben in ihren kurzen Monologen sehr viel Persönlichstes preis.

Name, Krankheit, Rasse

Die 14 Ensemblemitglieder rufen es immer wieder im Chor: „Name, Krankheit, Rasse“. Dann stellen sich alle selbst vor. Nennen Name, Herkunft und Diagnose. Etwa infantile Zerebralparese oder schizoaffektive Psychose. Alle blicken selbstbewusst ins Publikum. Stille, die Zuschauer schlucken und Tränen fließen. Die Tötungsanstalt in den Gaskammern des Samariterstifts Schloss Grafeneck war zugleich die Blaupause für die millionenfachen Morde in den Vernichtungslagern der Nazis. Das wird im Stück ebenso thematisiert, wie die Karriere des Mediziners Horst Schumann, der später in Auschwitz mit Menschen experimentierte. 

Auch eine Schreibkraft aus Grafeneck kommt zu Wort: „Ich hätte diesen Job nie angenommen, wenn ich gewusst hätte, was dort passiert“. „Euthanasie“ – schöner Tod, nannten die Nazis zynisch ihre Morde. Schreibmaschinen tippen klappernd Todesnachrichten für die Angehörigen, in denen die Mörder scheinbar natürliche Ursachen amtlich machten. Dazu erklingt das Lied: „Kein schöner Land in dieser Zeit“. Ein Medizinvortrag thematisiert Kohlenmonoxid und den dadurch verursachten Erstickungstod. Durch die Begegnung mit den Darsteller*n und Darstellerinnen mit Behinderungen im öffentlichen Raum wird auch ihre heutige Situation aufgezeigt. Über eine facettenreiche Auseinandersetzung zwischen Ensemble und Publikum werden Denkanstöße gegeben, die weit über die eigne Betroffenheit einerseits und der wichtigen Information andererseits hinausgehen. Durch den Einsatz historischer Fakten in Zusammenarbeit mit dem Dokumentationszentrum Gedenkstätte Grafeneck wird ein direkter gesellschaftlicher Bezug hergestellt. 

Fazit: Diese berührende Inszenierung verbindet Musik, bildende Kunst, Medienkunst und dokumentarische Elemente für das Grauen von Grafeneck. Zugleich ist sie für uns eine Mahnung „Nie wieder Faschismus“ und eine direkte Antwort auf dem zunehmenden Rechtsextremismus in unserer Gesellschaft. Inklusive Kunstprojekte sollten barrierefrei konzipiert und gestaltet werden, so dass alle Besucher und Besucherinnen auch teilhaben können. Ein Manko dieses ausdrucksvollen Theaterstücks ist die fehlende Gebärdensprachdolmetschung, keine Infos oder Dolmetschung in „Leichter Sprache“ und für Blinde und Sehbehinderte fehlt eine Audiodiskreption (eine Bildbeschreibung). Technisch heutzutage alles möglich.  

Weitere Infos:  https://www.theater-reutlingen.de/stueck/hierbleiben-spuren-nach-grafeneck-ua

Unsere Meinung

Ich bin traurig, es war keiner von der Politik da. Die damalige Beauftragte für die Belange von Menschen mit Behinderungen der Bundesregierung Verena Bentele übergab am 02.09.2014 den Gedenk- und Informationsort für die Opfer der nationalsozialistischen „Euthanasie“-Morde vor der Berliner Philharmonie (Gedenkort T4) der Öffentlichkeit. 

Mit einem interessanten Rahmenprogramm fand auch in diesem Jahr eine Gedenkveranstaltung statt. Die Vizepräsidentin des Deutschen Bundetages Petra Pau (Die Linke) war angekündigt. Als die Veranstaltung begann, wurden die Teilnehmer*innen über die Absage von Frau Pau informiert. Der Deutsche Bundestag hat eine Präsidentin und 5 Vizepräsidenten*innen! Wir haben nicht einmal ein Grußwort zu Kenntnis bekommen. Weder bei der Kranzniederlegung, noch bei der Aufführung des Theaterstücks „Hierbleiben…. Spuren nach Grafeneck“ konnten wir Politiker der Parteien aus dem Deutschen Bundestag, dem Büro der Bundesbehindertenbeauftragten oder der Berliner Politik begrüßen. Unsere jährliche Gedenkkultur für alle Opfer des Nationalsozialismus darf nicht vor den Menschen mit Behinderungen enden, weil sie von der Politik und Teilen der Gesellschaft in Vergessenheit geraten sind. Gerade die Euthanasieopfer waren die ersten Opfer dieses abscheulichen Nazisregimes und es war die Blaupause für millionenfachen Mord an unschuldigen Menschen im Dritten Reich. 

Respektvoller Umgang

Hier geht es um einen respektvollen Umgang und die Anerkennung alle Opfer des Nationalsozialismus. Es wäre auch ein deutliches politisches Bekenntnis und eine direkte Antwort von der Politik, auf dem zunehmenden Rechtsextremismus in unserem Land. Wir müssen die Menschen mit Behinderungen mit ihren begründeten Ängsten hinsichtlich dieses gesellschaftlichen Wandels mitnehmen und sie in ihrem selbstbestimmten Leben aufrichtig begleiten. 

So wurden die in der Corona-Pandemie gemachten Fehler nicht aufgearbeitet und die Ängste im Hinblick des Krieges gegenüber der Ukraine sowie die andauernde Inflation den Menschen mit Behinderungen nicht klar vermittelt. Die Hilfe der Bundesregierung beim 2. Entlastungspaket für die Leistungsbezieher*in im SGB XII von 200,00 € war ein Tropfen auf den heißen Stein. Auch das dritte Entlastungspaket der Bundesregierung sieht für dieses Jahr keine weiteren Entlastungen für diesen Personenkreis vor. Die Vermittlung dieses gesellschaftlichen Wandels ist nicht nur die Aufgabe der Vereine, den Verbänden und Organisationen, von denen sie vertreten werden. Es muss auch eine erkennbare Aufgabe und Vermittlung durch die Politik geschehen. Dies sind wir den heute lebenden Menschen mit Behinderungen in unserem Land schuldig. 

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