Die Erfinder der Systemgastronomie

Der Erbseneintopf mit Bockwurst ist ein echter Klassiker in der Berliner Küche. Er hat in schlechten Zeiten Millionen Berlinern den knurrenden Magen gefüllt. Besonders während der Weltwirtschaftskrise. Da war ein Teller Erbseneintopf bei „Aschinger“, für 40 Pfennige, das „Berliner Grundnahrungsmittel“, dazu konnte man so viele Schrippen essen, wie man wollte.

„Aschinger“ war eine Berliner Institution. Hier trafen sich alle, vom Bankdirektor bis zum Arbeiter. Allerdings durfte der die Lokale nicht in seinen Arbeitskleidung betreten. Auch noch heute wissen viele Berliner etwas mit dem Namen „Aschinger“ anzufangen, obwohl es die Firma seit 1976 nicht mehr gibt. Die letzten Lokale mit dem Namen „Aschinger“ – am Hackeschen Markt und am Kurfürstendamm – schlossen ganz plötzlich im Dezember 2000, weil der Betreiber insolvent war. Nach 108 Jahren war „Aschinger“ Geschichte. Der einst größte Gastronomiebetrieb Europas und, wenn man so will, der Erfinder der sogenannten Systemgastronomie, war sang- und klanglos verschwunden.

Begonnen hatte alles am 1. September 1892. Da eröffneten die beiden Brüder August und Carl Aschinger ihre erste „Bierquelle“ in der „Neuen Roßstraße“ unweit des „Kölnischen Marktes“. Diese Stehbierhalle befand sich praktisch um die Ecke vom heutigen „Märkischen Museum“. Das zweistöckige Haus mit dem flachen Dach gibt es nicht mehr. Heute stehen dort moderne Wohnhäuser. Das Geschäftsmodell der beiden schwäbischen Brüder war einfach. Es gab vier Biersorten, die alle zehn Pfennige kosteten. Der Erfolg war enorm. Sie eröffneten eine „Bierquelle“ nach der anderen. Dazu gab es preiswertes Essen und es schmeckte überall gleich gut. Auch die Stehbierhallen und die Restaurants, die später hinzu kamen, sahen alle gleich aus. Nach diesem Konzept arbeiten heute auch „Mc Donalds“ und Co.

Übrigens das Wort „Bierquelle“ hatten die Aschingers selbst erfunden. Es wurde zum geflügelten Wort, dass auch später im Wörterbuch aufgenommen wurde. Wie erfolgreich die „Aschinger“ waren, belegen die Umsatzzahlen. 1895, also drei Jahre nach der Eröffnung, wurde in Lokali-
täten von „Aschinger“ an einem Tag: zwei Zentner Lachs, 3500 Würstchen und elf Zentner Kartoffelsalat verkauft. 1910 waren es dann schon 20.000 Würstchen und 50 Zentner Kartoffelsalat pro Tag.  Das Bier floss in wahrsten Sinne des Wortes in Strömen. Pro Tag wurden 120.000 Gläser Bier gezapft. Aber nicht 0,3 Liter wie heute, nein, das „Aschinger“- Glas fasste einen Liter Gerstensaft.

Seine Hochzeit hatte „Aschinger“ in den Zwanziger Jahren. Da gehörten der „Aschinger AG“ 30 „Bierquellen“, 15 Konditoreien, acht
Restaurants, 20 Verkaufsstellen und mehrere Hotels. In dieser Zeit verputzen die Berliner bei „Aschinger“ pro Woche 1,1 Millionen Schrippen. Kostenlos.

Alle Speisen, Backwaren und auch alle Einrichtungsgegenstände wurden in einer Produktionsstätte in der „Saarbrücker Straße 36-38“ in Prenzlauer Berg hergestellt. Dieses Backsteingebäude, die „Backfabrik“, gibt es heute noch, direkt an der Prenzlauer Allee. Als die Nazis an die Macht kamen, biederte sich „Aschinger“ den neuen Machthabern erfolgreich an. „Aschinger“ versorgte, sozusagen exklusiv, die Reichsparteitage der NSDAP mit „Aschinger-Bier“ und Kartoffelsalat. Mit dem Untergang der Nazis ging auch „Aschinger“ unter. 80 Prozent der Lokale waren zerstört, die restlichen 20 Prozent wurden beschlagnahmt. Als die wichtige Produktionsstätte in Prenzlauer Berg von der DDR Regierung enteignet wurde, begingen die zwei „ehemaligen“ Geschäftsführer Fritz Aschinger und seine Schwester Selbstmord. „Aschinger“ lebte nach dem Krieg noch einmal auf, in West-Berlin. Doch 1976 war es vorbei. Das Konzept riss keinen mehr vom Hocker. Es gab neues. Aber die Legende „Aschinger“ ist geblieben. Vom Erbseneintopf für 40 Pfennige, Schrippen und einer Maas Bier für zehn Pfennige, davon können wir heute nur träumen.

Informationen:

Lesetipp für kalte Winterabende: Heinz-Joachim Simon – Der große Aschinger Roman über den Aschinger Konzern während der Nazi-Zeit. Erschienen im Jaron Verlag, 2012

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