Die Friedrichstraße des Westens
Als ich meine „gesammelten Werke“ des „Berlin Flaneurs“ durchsah, fiel mir auf, dass er noch nicht in meiner Sammlung war – der Nollendorfplatz. Er ist einer der bekanntesten Plätze in Berlin mit viel Geschichte und vielen Geschichten.
Seinen Namen bekam er am 27. November 1864 von einer nordböhmischen Ortschaft, bei der 1813 die Preußen eine erfolgreiche Schlacht schlugen. Schön ist der Nollendorfplatz heute nicht. Aber er war es einmal. Angelegt 1860 nach Plänen von Peter Joseph Lenné, zählte er zu den Schmuckplätzen des „Generalszug“ des bekannte Berliner Stadtplaners James Hobrecht.In der Mitte gab es Rasen, der von Blumen und Baumreihen eingefasst war.
Ab 1904 konnte man unter dem U-Bahn-Viadukt den „Nickelmannbrunnen“ bewundern, der wie der „Nollendorfplatz“ im 2. Weltkrieg schwer beschädigt wurde und verschwand. In den 1970er Jahren wurde „die Nolle“ verkehrsgerecht umgebaut, so wie wir ihn heute kennen. Um ihn herum entstanden mehr oder weniger hübsch hässliche Häuser. Und vom Grün war auch nichts mehr geblieben. Zu dieser Zeit fuhr über das Viadukt auch keine U-Bahn. Dafür gab es unter dem überdachten alten Bahnhof bis 1991 den höchst gelegenen Flohmarkt Berlins, den ich auch noch selber kennenlernen konnte nach dem Mauerfall. Dann fuhr wieder die U-Bahn.
Der Platz wird von einem großen Haus dominiert. Gleich neben der Motzstraße. Es heißt „Metropol“ und dieses Gebäude – wie auch das riesige Revue-Theater „Scala“ am Nollendorfplatz – schrieben nicht nur Berliner Varieteegeschichte. Das Scala im Krieg zerstört, hat so zusagen den „Walkman“ erfunden. Denn im Tanzsaal hingen von der Decke Kopfhörer, die sich die Tanzpaare aufsetzen konnten und so zu ihrer eigene Musik dahinschwofen konnten. Das „Metropol“ wurde 1906 als „Neues Schauspielhaus“ eröffnet. Es wurde vom gleichen Architekten erbaut, wie das KADEWE. Das Theater bot 1200 Besuchern Platz. Zusätzlich gab es noch einen Konzertsaal mit 1600 Plätzen, aus dem später ein riesiges Kino wurde. Dort gab es am 4. Dezember 1930 bei der Uraufführung des Films „Im Westen nichts Neues“ einen Skandal. Hinkefuß Goebbels und seine Mannen sprengten die Vorführung des Films, weil er ihnen nicht gefiel und nicht zu ihre Ideologie passte. Der Film wurde trotzdem ein Klassiker.
Nach dem Krieg wurde aus dem „Nollendorfpalast“ wie das Theater ab 1942 hieß, das „Metropol“ und dann das „Goya“ und seit einiger Zeit heißt es wieder „Metropol“. Ich war einmal dort in diesem riesigen Bau, in den „wilden Zeiten“, als es dort noch den richtigen „Kit-Cat-Club“ gab.
Die Berliner Partygänger von damals wissen, was ich meine. Im riesigen Theatersaal gab es eine große Bühne und aus den Logen hatte man damals Separees gemacht. Nicht das, was dort drinnen geschah, beeindruckte mich oder die sehr freizügige Party, sondern auch die gesamte Architektur und die Größe des Hauses. Heute werden dort immer noch Parties gefeiert. Aber andere als die im damaligen freizügigen „Kit-Cat-Club“.
Der „Nollendorfplatz“ war schon immer das Entree zum „queres Herz“ von Berlin. Hier beginnt der sogenannte „Regenbogen-Kiez“.
Außerdem galt der Platz und seine Umgebung als die Friedrichstraße des Westens. Hier trafen sich und arbeiteten Künstler jedweder Couleur von Bertholt Brecht über Kurt Weil bis Operettenkönig Willy Kollo. Erich Kästner Roman „Emil und die Detektive“ spielt rund um den Nollendorfplatz. Und die extravagante Autorin Else Lasker-Schüler wohnte direkt um die Ecke, bis sie vor den Nazis fliehen musste. Wenn sie ein Gefühl bekommen möchten, wie es damals rund um den Nollendorfplatz zuging, dann empfehle ich ihnen den Roman „GOODBYE TO BERLIN“ von Christopher Isherwood, nach dem das Musical „Cabaret“ entstand. Der Nollendorfplatz gehört einfach zur DNA von Berlin. Und was sagte der berühmte Berliner Theater-
kritiker Friedrich Luft einst über den Nollendorfplatz: „Es komme, wie es wolle, die Nolle bleibt die Nolle“
Er musste es wissen. Denn Herr Luft wohnte gleich um die Ecke vom Nollendorfplatz.