Interview mit Anai Ahrens

Die Institution Berliner Register ist (noch) nicht jeder Berlinerin oder jedem Berliner bekannt. Deshalb stellen wir heute das Berliner Register vor. Daher führte Dominik Peter mit Anai Ahrens ein Interview.

BBZ: Was ist eigentlich das Berliner Register?

Anai Ahrens: Die Berliner Register sind ein unabhängiges Projekt-Netzwerk aus bezirklichen Registerstellen. Wir dokumentieren Vorfälle, bei denen Menschen im Alltag gesellschaftlich ausgegrenzt werden und erfassen extrem rechte Aktivitäten in Berlin. Dazu gehören zum Beispiel rassistische Angriffe, antisemitische Graffiti, schwulenfeindliche Demonstrationen oder behindertenfeindliche Beschimpfungen. Wir veröffentlichen die Vorfälle in unserer Online-Chronik und werten sie jährlich aus. Dabei steht die Schilderung der Betroffenen für uns an erster Stelle. Wir veröffentlichen keine Namen und passen auf, dass diejenigen, die uns Vorfälle schicken, später nicht dafür angefeindet werden können. Die Ergebnisse präsentieren wir Lokalpolitiker*innen und Menschen, die sich in den Bezirken engagieren. Unser Ziel ist es, Diskriminierung langfristig zu verhindern. Das Sichtbar-Machen von Diskriminierungserfahrungen und Lebensrealitäten ist ein Baustein, um diesem Ziel näher zu kommen.

BBZ: Seit wann gibt es die Berliner Register?

Anai Ahrens: Das erste Register wurde 2005 in Pankow eingerichtet. Es sollte neben einer Dokumentation von Aktivitäten der extremen Rechten auch Diskriminierung im Alltag und in Behörden sichtbar machen. Seit 2016 gibt es in jedem Berliner Bezirk ein Register.

BBZ: Wie finanziert ihr Euch?

Anai Ahrens: Wir erhalten Fördermittel vom Berliner Senat. Das Geld kommt aus dem Berliner Landesprogramms „Demokratie. Vielfalt. Respekt. Gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus“ der Senatsverwaltung für Arbeit, Soziales, Gleichstellung, Integration, Vielfalt und Antidiskriminierung.

BBZ: Können sich bei Euch auch Menschen mit Behinderung melden und ihre diskriminierenden Erfahrungen melden?

Anai Ahrens: Ja, sehr gern. Denn von diesen Vorfällen haben wir bisher nur sehr wenige dokumentiert. Menschen mit Behinderung können sich direkt an uns wenden, um von ihren eigenen Erlebnissen zu berichten. Aber auch Freund*innen, Verwandte oder Menschen, die eine behindertenfeindliche Diskriminierung auf der Straße oder in Bus und Bahn beobachten, können diese Vorfälle bei uns melden. Das können zum Beispiel beleidigende Sprüche oder körperliche Anfeindungen sein. Es gehören aber auch Diskriminierungen bei Ämtern, in der Schule oder bei Ärzt*innen dazu. 

BBZ: Wie meldet man seine Erfahrungen?

Anai Ahrens: Es gibt viele verschiedene Möglichkeiten, um uns zu erreichen: telefonisch, per E-Mail, über ein Meldeformular auf unserer Internetseite, in den Sozialen Medien oder in einer von ca. 200 Anlaufstellen, die für uns Vorfälle aufnehmen.

BBZ: Wie sinnvoll ist es, seine Diskriminierungserfahrungen zu melden?

Anai Ahrens: Viele Menschen machen solche Erfahrungen nicht und können sich nur schwer vorstellen, welches Ausmaß zum Beispiel Behindertenfeindlichkeit im Alltag hat. In dem wir die einzelnen Vorfälle öffentlich machen, können auch andere Menschen sehen, was passiert. Sie können sich die behindertenfeindlichen Situationen dann besser vorstellen und fangen an, ihre Meinung zu ändern. Sie werden sensibler für die Erfahrungen anderer Menschen. Sie greifen auch schneller ein, wenn sie eine Situation beobachten, in denen Menschen erniedrigt oder angegriffen werden. 

Dadurch, dass wir nicht nur einen Vorfall erfassen, sondern einige Tausend pro Jahr, können wir Muster erkennen. Das können Orte sein oder bestimmte Barrieren, die nicht-behinderte Menschen gar nicht wahrnehmen. Wir benennen diese Muster und die Politik oder einzelne Einrichtungen können dann mit Maßnahmen gegen die Diskriminierung vorgehen. 

Mit einer Meldung trägt also jeder einzelne Mensch dazu bei, dass sich etwas ändern kann. Für viele Menschen ist es zudem erleichternd, wenn sie von einem Vorfall berichten und wir ihnen glauben. Wir stellen ihre Wahrnehmung nicht in Frage. Wir erkennen an, dass das, was sie erlebt haben, Unrecht war. Und wir können ihnen sagen, dass Andere das Gleiche erleben. Die Berliner Register helfen außerdem dabei, den Kontakt zu passenden Beratungsstellen zu finden.

BBZ: Können sich bei Euch Menschen melden, die Gebärdensprache nutzen oder Leichte Sprache bevorzugen?

Anai Ahrens: Auf unserer Website gibt es ein ausführliches Video über das Projekt in Deutscher Gebärdensprache und Informationen in Leichter Sprache. In der Antidiskriminierungs-App des Landes Berlin kann man einen Vorfall in Leichter Sprache melden. Es gibt auch die Möglichkeit, eine Videonachricht per Telegram oder Signal-Chat an uns zu schicken. Leider kann derzeit bei den Berliner Registern niemand selbst Gebärdensprache nutzen. Aber wir finden individuelle Lösungen! Es wäre toll, wenn wir eine Anlaufstelle gewinnen würden, in der Vorfälle in Gebärdensprache entgegengenommen werden.

BBZ: Danke für das Interview.

 

Internetseite: www.berliner-register.de

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