Beständig unbeugsam gegen Barrierefreiheit und Inklusion
Alte Türme haben etwas: Sie zeugen von Beständigkeit – ja Unbeugsamkeit – gegenüber Entwicklungen der Zeit. Ihre Erbauer strebten einst danach, den irdischen Dingen zu entrücken. Am 3. Oktober 2024 beging der Berliner Fernsehturm den 55. Jahrestag seiner Eröffnung. Ist er damit ein „alter Turm“?
Gemessen in Jahren sicher nicht – da weisen Türme wie jener der benachbarten Nikolaikirche oder etwa der Binger Mäuseturm locker das zehnfache Alter auf und der legendäre Turmbau zu Babel bringt es gar auf das Hundertfache. Betrachten wir aber die durch ihn verkörperte Geisteshaltung auch seiner heutigen Betreiberin – der noch immer teilstaatlichen Deutsche Telekom AG – , so passt es denn doch wieder mit dem „alten Turm“.
Das zum Jahresbeginn 1995 aus der fusionierten Postbehörde von BRD und DDR ausgegründete Unternehmen wäre nämlich eigentlich gehalten, nicht nur seine IT-, Festnetz- oder Mobilfunkangebote barrierefrei nutzbar zu gestalten, sondern müsste auch seine dem Publikumsverkehr dienenden Gebäude für Alle zugänglich machen. Das ergibt sich gerade für bundeseigene Betriebe schon aus Artikel 3 Absatz 3 Satz 2 des Grundgesetzes („Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.“) seit 1994 eigentlich mehr als eindeutig. Später wurde dieser politische Anspruch unter anderem durch die UN-Behindertenrechtskonvention oder das Berliner Landesgleichstellungsgesetz noch weiter untermauert.
Inklusion ist Menschenrecht
Der Deutschen Telekom scheint dies Alles indes vollkommen egal zu sein. Gleich den Turmbauenden früherer Jahrhunderte ignoriert sie beständig unbeugsam sämtliche gesellschaftlichen Veränderungen und verweigert auch noch im 30. Jahr nach Schaffung des grundgesetzlichen Benachteiligungsverbotes auf den Rollstuhl oder
andere „Mobilitätshilfen“ angewiesenen Menschen beharrlich den Zugang zum Berliner Fernsehturm. Sie begründet dies mit fehlenden Evakuierungsmöglichkeiten im Falle eines Brandes oder eines längeren Stromausfalls.
Es ist sicher nicht die behaglichste Vorstellung, über Stunden in 350 Metern Höhe eingesperrt zu sein, ohne abschätzen zu können, ob oder wann überhaupt noch Rettung möglich ist. Ein ähnliches Risiko gehe ich als Rollstuhlnutzer allerdings auch ein, wenn ich etwa die hiesige U-Bahn vom Tierpark zum Roten Rathaus, eine Ostseefähre nach Schweden oder ein Flugzeug nach Spanien benutze. In all‘ diesen Fällen wird mir aber von den jeweils Betreibenden zugestanden, Nutzen und Gefahren einer solchen Verkehrsmittelnutzung – gilt ähnlich auch für die Übernachtung in Hotel-Hochhäusern etc. – selbst abzuwägen und autonom zu entscheiden.
Warum geht das nicht beim Berliner Fernsehturm?
Es geht nicht, weil es noch nie ging, Wo kämen wir beziehungsweise käme die Deutsche Telekom denn hin traute sie nach 55 Jahren bequemer Diskriminierung Menschen mit Behinderung plötzlich zu, das Risiko eines Stromausfalles oder Brandes während des eigenen Turmbesuchs einzuschätzen und zu übernehmen? Dann müsste sie ja noch die Rolle der wohlmeinend bevormundenden Turmherrin aufgeben und sich dem Wandel der Zeiten beugen? Das geht doch gar nicht. Oder geht es letztlich der Telekom vielleicht doch nur darum, ein paar kleinere Umbauten im Foyer sowie auf den Besucherebenen des Fernsehturms nicht durchführen – mithin auch nicht finanzieren – zu wollen?
Schließlich müsste im Sockelbau ein zusätzlicher Aufzug über eine Ebene ein- und „oben“ eine Toilette barrierefrei umgebaut werden. Sollte dies der wahre Grund für die Blockadehaltung des Konzerns sein, wäre das jedoch erst recht eine mittelalterliche Denk- und Herangehensweise.
Halten wir also fest: Der Berliner Fernsehturm ist auch mit nur 55 Jahren schon ein „alter Turm“, da er eine antiquierte Geisteshaltung bewahrt. Er sollte für den Publikumsverkehr insgesamt geschlossen werden, wenn sich die Deutsche Telekom weiterhin weigert, ihn für Alle gleichberechtigt zugänglich zu machen.
Man kann das Thema natürlich drängenderer Dinge wie Assistenzfinanzierung jetzt als „Luxusproblem“ abtun, aber gerade an solch prominenten Orten wie dem Fernsehturm in der Mitte der Hauptstadt zeigt sich doch für die ganze Welt wahrnehmbar, wie ernst es dieses Land mit Barrierefreiheit und Inklusion wirklich meint. Deshalb darf dieser Vorgang eben nicht in Vergessenheit geraten.