Vielfalt in der Stadt – auch in der Selbsthilfe
Angesichts der positiven Resonanzen stellt die BBZ auch dieses Jahr monatlich Angebote und Selbsthilfegruppen in Berlin vor. Die Serie soll zu Informationen über Selbsthilfegruppen verhelfen, zu Gruppengründungen animieren sowie Vorurteile abbauen. Die Artikel richten sich an bereits Aktive sowie Interessierte der Selbsthilfe.
Für diese Ausgabe durfte ich mit Katrin de la Haye sprechen. Sie hat seit Frühjahr 2023 eine Selbsthilfegruppe für Stiefmütter. Eine Stiefmutter ist eine Frau, die mit einem leiblichen Elternteil eines Kindes in einer Beziehung lebt und nicht die leibliche Mutter dieses Kindes ist
BBZ: Vielen Dank für Ihre Zeit. Fangen wir gleich an, führen Sie „nur“ Gesprächsrunden oder machen Sie auch Aktivitäten?
Katrin de la Haye: Wir führen in erster Linie Gesprächsrunden, aber da wir an die Kiezoase angebunden sind, hat diese uns schon zwei Workshops zum Thema Patchwork ermöglicht.
BBZ: Berichten Sie gerne von Treffen, die Sie noch gut in Erinnerung haben.
Katrin de la Haye: Für mich ist es immer wieder erstaunlich und heilsam, wenn eine neue Teilnehmerin hinzukommt und von sehr ähnlichen Themen und Gefühlen berichtet, die auch die anderen Teilnehmerinnen kennen. Nicht selten kommt es vor, dass diese Frauen dann zu Tränen gerührt sind, einfach weil sie zum ersten Mal richtig verstanden, ernst genommen und nicht verurteilt werden. Und weil ihnen endlich klar wird, dass nicht SIE das Problem sind, sondern dass diese Familienkonstellation so komplex ist, dass sie wirklich viel Anstrengung und viele ungewollte Emotionen verursachen kann. Sie fühlen sich dann nicht mehr alleine mit ihrem Problem. Das ist der Schlüssel, denke ich.
Danach entstehen manchmal ganz wunderbare Prozesse, die eine neue Positionierung in der eigenen Familie möglich machen, weil man sich nicht mehr schämt oder falsch und schlecht fühlt. Oft hat das eigene Umdenken in Richtung mehr Verständnis für sich selbst, mehr Selfcare und mehr Akzeptanz für die unguten Gefühle oder Verhaltensweisen auch Auswirkungen auf den Partner und die Patchworkkinder. Ich habe erlebt, dass danach mehr ehrliche Gespräche möglich waren.
BBZ: Wozu haben Sie die Selbsthilfegruppe gegründet?
Katrin de la Haye: Eine enorme Last am Stiefmutter sein sehe ich in der Einsamkeit. Das Thema ist gewissermaßen tabuisiert. Denn wer sollte denn schon etwas dagegen haben, ein oder zwei Kinder mehr unterm Weihnachtsbaum zu haben?
Der Partner hat eine ganz eigene Perspektive auf die Situation und durch seine persönliche Betroffenheit, kommt er somit zunächst als Gesprächspartner oft nicht infrage oder erscheint wenig hilfreich. Durch diese Tatsache und die Erwartungshaltung der Gesellschaft sowie die schnelle Stigmatisierung als „böse Stiefmutter“ machen die Frauen das häufig mit sich alleine aus und vereinsamen buchstäblich und das, obwohl sie jeden Tag so viele Menschen in Form von Familie um sich haben und sich den Mund fusselig reden. Das führt nicht selten zu Ohnmacht, Wut oder Verzweiflung. Denn ganz gleich, wieviel Mühe sie sich geben, wievielt sie sich auch in ihrer Rolle aufopfern, die Bemühungen werden oft nicht geschätzt oder überhaupt gesehen, es wird ihnen häufig wenig gedankt und es fehlt in der Regel die wesentliche Voraussetzung, die eine „Mutter“ mitbringt.
BBZ: Warum engagieren Sie sich persönlich für Ihre Selbsthilfegruppe? Sind Sie selbst betroffen oder gibt es andere Gründe?
Katrin de la Haye: Ja ich bin Betroffene. Ich bin selbst Stiefmama von zwei Jungs, zwölf und 16 und habe mit meinem Mann zwei gemeinsame Kinder – Zwillinge, zwei Mädchen, die jetzt fünf sind. Ich habe händeringend nach Hilfe gesucht und musste feststellen, dass das, was man in der Familie, im Bekanntenkreis und in der Gesellschaft erlebt, sich auch auf diesem Gebiet widerspiegelt.
Die Stiefmutter kommt nicht wirklich vor. Es gibt Hilfe für die getrennten Eltern und für die Trennungskinder, was natürlich super wichtig ist. Es dreht sich aber alles um die „alte“ Kernfamilie, mitunter noch Jahre, nachdem es bereits eine neue kleine Familie oder eine große, bunte zusammengewürfelte Patchwork-Familie gibt. Die Hinzugekommenen, also neue Partnerin und gegebenenfalls auch neue Kinder, haben aus Sicht der Gesellschaft kein Problem und kaum Mitspracherecht. Dabei hat alles, was rund um die Stiefkindern passiert und mit der Kindsmutter dieser verhandelt wird, unmittelbare Auswirkungen auf die gesamte Familie.
Hilfe holen sich viele aus Büchern, wie von Jesper Juul oder auch Katharina Grünewald zu dem Thema. Aber damit sind sie ja auch wieder alleine mit der Thematik. Das war für mich der Anlass aus eigener Initiative eine Selbsthilfegruppe zu gründen, was sich Dank dem tollen Engagement der
Kiezoase verwirklichen ließ.
BBZ: Hatten Sie anfangs oder haben Sie Vorurteile oder Hemmungen in Bezug auf Selbsthilfegruppen und Gesprächsrunden?
Katrin de la Haye: Nein, das hatte ich nie. Ich habe schon immer den Vorteil darin gesehen, mit Menschen in Austausch zu gehen, die ein ähnliches oder das gleiche belastende Thema haben, mit dem sie sich außerhalb der Gruppe entweder nicht ausreichend verstanden fühlen oder sich auch möglicherweise nicht trauen, darüber zu sprechen.
BBZ: Sehen Sie in Selbsthilfegruppen Chancen? Falls ja, welche und warum.
Katrin de la Haye: Ja auf jeden Fall. Mir selbst geht es sehr viel besser, seitdem ich weiß, dass ich nicht alleine bin, dass nicht ICH das Problem bin, sondern dass die Problematik auch für viele andere Frauen mit den verschiedensten Hintergründen besteht, allesamt großartige, taffe und herzliche Frauen, die einfach nur „das Richtige“ tun wollen, für ihre Familien, aber auch für sich selbst.
Diese Gemeinschaft stärkt mich und lässt mich auch meinem Partner gegenüber anders auftreten, was wieder Raum für Selbstwirksamkeit schafft. Ich habe meinen Partner ins Boot geholt, wir gehen inzwischen gemeinsam zur Familienberatung und nehmen an Workshops teil. Ich gestalte wieder mehr mit und fühle mich weniger fremdbestimmt und ausgeliefert. Viele Frauen in der Gruppe haben von ähnlichen Entwicklungen berichtet.
BBZ: Haben Sie Kontakt zu einer Selbsthilfekontaktstelle und warum?
Katrin de la Haye: Wir sind bei den Sekis verzeichnet, aber nur als Hinweis, dass es uns gibt und einer kurzen Beschreibung. Darüber haben uns auch schon einige Frauen erreicht.
BBZ: Wie viele regelmäßig teilnehmende Personen hat Ihre Gruppe?
Katrin de la Haye: Wir sind eine offene Gruppe, weshalb nie alle Frauen teilnehmen. Insgesamt sind wir 27. Bei den Treffen waren wir aber noch nie mehr als acht, allerdings sind es auch nicht immer die gleichen. Ich würde sagen, dass momentan rund sechs Frauen sehr regelmäßig teilnehmen. Es kommen aber auch immer wieder neue Teilnehmerinnen hinzu.
BBZ: Wie lange dauert jeweils ein Treffen und gibt es regelmäßige Termine, wie bestimme Tage und Zeiten?
Katrin de la Haye: Wir treffen uns jeden ersten und dritten Donnerstag im Monat um 18.30 Uhr im ersten Stock der Kiezoase, Barbarossastraße 65. Die Treffen dauern je nach Bedarf anderthalb bis zwei Stunden.
BBZ: Ist Ihre Selbsthilfegruppe offen für neue Teilnehmerinnen und Teilnehmer und wie können neue Interessenten Ihre Gruppe kontaktieren?
Ja wir sind offen. Wer kommen möchte, kann sich entweder an die Kiezoase wenden: kiezoase@pfh-berlin.de, Tel: 030 – 21730 202
Das Infobüro hat folgende Öffnungszeiten: Mo & Mi 15 – 18 Uhr, Di & Do 10 – 13 Uhr