NO LIMITS Festivals glänzte mit Wildheit, Humor und Verzauberung
Julia Häusermann sagt die Zukunft voraus. Serafin Michel dreht als Arzt durch. Und die Truppe von Plattform-K lässt die Sau raus, bis sattgrüne Flüssigkeiten fließen. Es ist was los bei „No Limits“, dem größten und wichtigsten deutschen Festival für „Disability & Performing Arts“. Das Berliner Festival feiert sich und seine zehnte Ausgabe mit einem fulminanten Reigen von rund 25 Inszenierungen und einem dicken Programmheft in Alltags- und in leichter Sprache.
Der Text zu Julia Häusermanns Performance „No Gambling“ enthält in leichter Sprache den wunderbaren Satz: „Das Stück sucht den Zauber im Alltag.“ Und so gibt es auf der Bühne des HAU 2 ein riesiges Mobile zu sehen, in dem ein Mensch (Nele Jahnke) neben einem „No exit“-Schild an einer Leiter hängt. Julia Häusermann ist im Züricher Theater Hora „aufgewachsen“. Inzwischen hat sie den Sprung aus der Nische des inklusiven Theaters auf die große Bühne geschafft und wurde mit dem Solo „Ich bin`s Frank“ der Münchner Kammerspiele zum Berliner Theatertreffen 2021 eingeladen. Bei „No Gambling“, einer verspielten Versuchsanordnung von Alltagsobjekten, arbeitet sie mit der Performerin Simone Aughterlony zusammen. Mit links spielt sie diese und Nele Jahnke, die beide keine Einschränkung haben, an die Wand. Denn der unangefochtene Höhepunkt der einstündigen Performance ist Häusermanns Wahrsage-Würfeln in der direkten Interaktion mit dem Publikum. Häusermann ist momentan der Star des deutschsprachigen integrativen Theaters und eröffnete so am 9.November das elftägige Festival. Es folgten Inszenierungen aus zehn Ländern, die sich zwischen Theater, Tanz und Performance bewegten. Dazwischen immer wieder Heimspiele der Berliner Platzhirsche: dem Kreuzberger Theater Thikwa und dem Ramba Zamba Theater im Prenzlauer Berg.
Ein Gastspiel-Highlight war definitiv der dreiteilige Abend des Theater Stap aus Flandern. Berührend und poetisch war „Sea of love“. Darin geht es um das Meer, den Schmerz und das Begehren. Also um „die kleine Meerjungfrau“. Und am Ende auch um „Titanic“. Weit ausgestreckt sind die Arme der SchauspielerInnen da, sie stehen an einer fiktiven Reeling direkt vorm Publikum.
Auf der Probebühne des Ramba Zamba Theaters zeigte danach Peter Janssens sein Tanzsolo „Blade Racer“. Janssens ist so beweglich, dass er das Mischpult mit seinen Füssen bedient und so verschmitzt, dass er sich irgendwann kopfüber auf das Mischpult legt. Und dazwischen dreht er sich so rasant im Kreis, dass einem beim Zuschauen schwindlig wird. Dann lässt er sich in einen Konfettiberg fallen und verteilt die Konfetti über den Boden und auf seinen Klamotten. Endgültig verzaubert Janssens den Saal, als er sich wieder dreht, die Arme weit von sich gestreckt hat und aus seinen Fäusten Konfetti weg fliegen, die für einen kurzen Moment Kreise bilden. Bei „Das kranke Haus“ verwandeln Schaumstoffmatratzen eine schnöde Krankenliege in einen Thron. So endet das Krankenhaus-Stück des Theater Hora, das im Ballhaus Ost gezeigt wurde.
Dieses Mal hat das Theater Hora mit dem Kollektiv „vorschlag:hammer“ zusammengearbeitet. Herausgekommen ist eine witzige und gleichzeitig todernste Annäherung an das Thema Krankenhaus, in der die SchauspielerInnen von ihren eigenen Erlebnissen erzählen, aus Interviews von KrankenhausmitarbeiterInnen zitieren und Krankenhausserien nachspielen. Serafin Michel, ein Schauspieler mit Einschränkung und unglaublicher Bühnenpräsenz, spielt so einen Arzt, dem die Kontrolle über seinen Körper komplett entgleitet und der auf der Bahre die Beine immer wieder epileptisch nach oben reißt. Damit das Festival auch zu Hause noch weiter geht, gibt es auf youtube den wunderbaren Kurzfilm „Downside Up“ vom Theater Stap. Unbedingt anschauen!
Anmerkung der Redaktion/Jasper Dombrowski: Auch das im Rahmen des Festivals stattgefundene Doppelkonzert der inklusiven Musikbands „21 downbeat“ und „Station 17“ war ein Highlight. Es wäre wünschenswert, wenn große Bands eine der genannten Bands in ihr Vorprogramm nehmen. Gute Stimmung ist garantiert!
Mehr Fotos und Berichte vom Festival finden sich auf blog.no-limits-festival.de