Wir fordern barrierefreie Milieuschutzgebiete
Der Berliner Behindertenverband (Kurzform BBV) und der Paritätische Wohlfahrtsverband haben die Fokusgruppe zum Thema Bauen moderiert. Ziel der Fokusgruppe war, einen Antrag für das kommende Behindertenparlament zu erarbeiten. „Wir einigten uns darauf, dass Thema Milieuschutzgebiete zu thematisieren, was mich sehr erfeut hat, denn ich sehe hier ein massives Problem. Weshalb ich bereits vor rund einem halben Jahr die damalige Sozialsenatorin angeschrieben hatte“, so Dominik Peter (Vorstandsvorsitzender Paritätischer Wohlfahrtsverband). Den Antrag drucken wir in voller Länge an.
Hintergrund
Gentrifizierung zu verhindern und eine Zusammensetzung der Wohnbevölkerung in bestimmten Stadtgebieten zu erhalten, ist grundsätzlich löblich. Dieses Ziel unterstützen wir auch. Allerdings ist die aktuelle Umsetzung der Milieuschutzgebiete – ausgehend vom Baugesetzbuch, der entsprechenden Verordnung für das Land Berlin bis hin zur bezirklichen Umsetzung – diskriminierend und führt in letzter Konsequenz insbesondere zur Verdrängung von älteren und behinderten Mitbürger*innen aus ihren angestammten Wohnungen.
Denn die aktuelle Umsetzung verhindert bzw. erschwert es den Menschen, ihre eigene Wohnung an ihre gesundheits- oder behinderungsbedingten Bedürfnisse anzupassen und dazu ihre verbrieften Rechtsansprüche gem. § 40 Abs. 4 SGBXI auf finanzielle Zuschüsse für Umbaumaßnahmen in Anspruch zu nehmen. Die Zuschüsse (bis zu 4000,- Euro) dienen zur Verbesserung des individuellen Wohnumfeldes.
Sinn und Zweck dieser Rechtsvorschrift ist, dass durch die Bezuschussung für pflegebedürftige Personen eine selbstständige Lebensführung in der eigenen Wohnung wieder hergestellt oder erhalten wird. Ein Großteil dieser notwendigen Maßnahmen wird aber derzeit durch die Verordnungen zu den Millieuschutzgebieten untersagt.Ein maßgebliches Kriterium, nach dem bauliche Maßnahmen durch die Bezirksämter untersagt werden können, sind vordergründig jene Maßnahmen, die augenscheinlich ein „Aufwertungspotential“ haben. Lediglich ein „Wohnmindeststandard“ wird akzeptiert. Dabei ist unserer Meinung nach nie bedacht worden, dass viele bauliche Maßnahmen für ältere und Bewohner und Menschen mit Behinderungen tatsächlich unabdingbar sind. Hierzu nur drei Beispiele:
Badezimmer: Der Einbau einer Dusche in ein bereits vorhandenes Badezimmer, z.B. anstelle der vorhandenen Badewanne, wird je nach Milieuschutzgebiet nicht genehmigt. Menschen, die im Laufe ihres Lebens Mobilitätsschwierigkeiten bekommen, sind aber auf eine ebenerdige Dusche angewiesen. Sie zwingen somit diese Menschen zum Umzug, obwohl derartige bauliche Maßnahmen sogar von den Krankenkassen finanziell bezuschusst werden.
Vermeidung von Hindernissen und Sturzgefahren: Gerade für Menschen mit zunehmenden Bewegungseinschränkungen (mit Gehhilfen, Rollatoren usw.) ist es essentiell, insbesondere in der eigenen Wohnung unnötige Barrieren abzubauen. So sollten vorhandene Türen erweitert und Türschwellen entfernt, Bodenbeläge erneuert und/oder fest installierte Rampen und Treppenlifte eingebaut werden können.
Wohnungsgrundrisse: Menschen, die im Laufe ihres Lebens auf den Rollstuhl angewiesen sind, sind auf größere Räume angewiesen. Diese Tatsache wird von allen Beteiligten der Baubranche bestätigt. Im Rollstuhl wird sehr viel mehr Platz benötigt, um etwa sein Bett anzufahren oder ein Fenster öffnen zu können. Grundrissänderungen zur Schaffung großzügiger Wohnungsgrundrisse werden derzeit jedoch prinzipiell nicht genehmigt.
Hier stellt sich also die wesentliche Frage, was ist ein „Wohnmindeststandard* und welche Personenkreise wollen wir denn damit eigentlich schützen und welches Menschenbild liegt dem zu Grunde? Werden diese Personenkreise nicht vollumfänglich mitgedacht, werden wir zukünftig verstärkt erleben, dass gerade diese Personenkreise nicht nur aus ihren angestammten Kiezen, sondern gleich in Pflege-, Seniorenheime oder Wohneinrichtungen für behinderte Menschen verdrängt werden. Alternativen Wohnraum finden sie nicht.
Antrag
Das Berliner Behindertenparlament möge beschließen:
Die Bezirke werden aufgefordert, bestehende Milieuschutzverordnungen zu überprüfen, welche diskriminierende Vorgaben diese enthalten. Darauf aufbauend sollen die entsprechenden Verordnungen neu gefasst werden.
Zukünftige Ausweisungen neuer Milieuschutzgebiete müssen von Anfang an die Belange von behinderten Menschen und Senioren berücksichtigen. Sowohl die Behindertenbeiräte der Bezirke als auch die/der Behindertenbeauftragte/r sind bei der Überarbeitungen der bestehenden Milieuschutzverordnungen einzubinden.
Frist
Die Bezirke berichten dem Berliner Behindertenparlament bis 5. Mai 2024 erstmalig über die Umsetzung.
Verfasser:innen
Der Antrag wurde erarbeitet von der Fokusgruppe Bauen und Wohnen des Berliner Behindertenparlaments. Verantwortlich: Dominik Peter (Parität), Felix Tautz (Berliner Behindertenverband e.V.).