Interview mit Timothy Redfern

Timothy Redfern ist seit Februar neuer Referent für Teilhabe von Menschen mit Behinderungen beim Paritätischen Wohlfahrtsverband Landesverband Berlin. Ihn interviewte Dominik Peter, Vorstandsvorsitzender der Parität.

BBZ: Timothy, seit wann arbeitest du bei der Parität und was ist Dein Aufgabenbereich?

Timothy Redfern: Kommt darauf an, welche Parität damit gemeint ist. Im März 2022 habe ich beim Paritätischen Gesamtverband als Projektreferent angefangen. So habe ich die Parität erst kennengelernt. Dieses Jahr bin ich zum Paritätischen Landesverband Berlin gewechselt und seit dem 1. Februar bin ich hier als Referent für Teilhabe von Menschen mit Behinderungen tätig. Hier unterstütze ich beispielsweise unsere Mitgliedsorganisationen im Referat Teilhabe und vertrete ihre Interessen gegenüber der Verwaltung und Politik. 

BBZ: Wo hast du davor gearbeitet?

Timothy Redfern: Also, ich bin in Melbourne, Australien aufgewachsen und habe dort nach meinem Studium in der Eingliederungshilfe als Teilhabeplaner gearbeitet. Die täglichen Begegnungen dort mit vielen Menschen mit Behinderungen haben mich sehr geprägt. Anfang 2019 bin ich nach Berlin gezogen und habe zunächst für den Träger Diversicon in Kreuzberg gearbeitet. Dort war ich Peer-Berater und Jobcoach für neurodivergente Menschen, also für Menschen mit Autismus und/oder ADHS. Das habe ich fast zweieinhalb Jahren gemacht, bevor ich zur Parität gegangen bin.   

BBZ: Wow, da bringst du ein breites Spektrum an Vorerfahrungen mit. Was reizt dich an deiner neuen Aufgabe?

Timothy Redfern: Mich reizen vor allem zwei Dinge: Erstens, die politische-aktivistische Interessensvertretung unserer Mitglieder und die Belange von Menschen mit Behinderung. Ich habe mich immer für Politik interessiert und bin seit zehn Jahren in sozialen Bewegungen aktiv, also bin ich motiviert, mich für eine inklusive Stadt und Gesellschaft einzusetzen. Zweitens reizt mich die fachliche Zusammenarbeit mit unseren Mitgliedsorganisation. Dabei will ich den Expert*innen in eigener Sache zuhören, ihre Perspektiven zentrieren und Partizipation ermöglichen. 

BBZ: Wie findest du Berlin im Vergleich zu anderen Städten, die du kennst?

Timothy Redfern: Also, im Vergleich zu meiner Heimatstadt Melbourne ist Berlin deutlich kälter und dunkler. Hah! Aber dafür ist die Stadtkultur hier interessanter und es gibt mehr kulturelle und politische Angebote, mehr Nightlife, mehr Menschen, die Mut zum nichtkonformistischen Lebensstil haben. 

BBZ: Lachend, dass hast du wunderbar umschrieben. Aber genau so ist es.

Timothy Redfern: Außerdem ist Melbourne, und Australien im allgemein, durchaus weniger bürokratisch. Die Digitalisierung der Verwaltung dort ist viel weiter, du kannst fast alle Abläufe über eine App tätigen. Auch in der Eingliederungshilfe sind die Abläufe und Formulare wirklich einfacher. Als ich noch im Teilhabefachdienst in Melbourne gearbeitet habe, haben wir Bedarfsermittlungen anhand eines offenen, teilstrukturierten Interviews durchgeführt, Fragebögen kamen kaum zum Einsatz. Man musste nur wenig Formulare ausfüllen. Die Leistungsberechtigten mussten sich dabei nur an einem, maximum zwei Termine beteiligen. Es ist dort nicht perfekt, es gibt wie überall viele Baustellen, aber die Verfahren dort sind weniger aufwendig, weniger komplex im Vergleich zu hier in Berlin.

BBZ: Über die überbordende Bürokratie klagen fast alle in Deutschland. Man sagt uns Deutschen auch nach, dass wir schnell vieles kritisieren. Ist dies deiner Meinung
nach wahr und wo findest du, sind wir mit der Kritik zu harsch?

Timothy Redfern: Hmm, das ist schwer zu beantworten. Ich glaube, wir alle orientieren uns an verschiedenen Normen. Deutsche haben hohe Qualitätsansprüche und erwarten viel vom Staat. Als Migrant bin oft sehr beeindruckt davon, was man im Deutschland alles vom Staat erhalten kann. Zum Beispiel, in Australien ist die Kindertagesbetreuung so unfassbar teuer, dass es sich kaum finanziell lohnt, für beide Elternteile arbeiten zu gehen. 

Dass der Kitaplatz in Berlin mehr oder weniger kostenfrei ist, finde ich absolut klasse. Und trotzdem wird in Berlin oft über die Strukturen der Kitas kritisch gesprochen. Damit will ich diese Kritiken gar nicht relativieren. Mein Punkt ist nur, dass wir die Welt durch unterschiedliche Normen sehen, weshalb wir verschiedene Erwartungen oder Ansprüche haben. Eigentlich finde ich es gut, dass die Deutschen sehr hohe Ansprüche gegenüber dem Sozialstaat haben. So sollte es auch sein.  

BBZ: Wo sieht du noch großes Nachholpotential?

Timothy Redfern: Ich weiß aus eigener Erfahrung, dass das Leben und die Verwaltung auch mit weniger Bürokratie gut funktionieren können. Manchmal sogar besser und angenehmer. Hier bin ich als Zugewanderter oft gegen eine Wand gerannt, da die Unterlagen nicht genau richtig waren, da eine Apostille fehlte (Anmk. der Redaktion: Legalisierung durch ein Behörde), da die Übersetzung nicht amtlich beglaubigt war, und so weiter. Menschen mit Behinderungen und ihre Familien laufen
auch gegen bürokratische Wände, und zwar an vielen Stellen. 

Es könnte aber anders sein. Aber steife Strukturen und Prozesse gehören teilweise zur Kultur hier, und um diese aufzulockern braucht es nicht nur Organisationsentwicklung oder Fortbildungen, sondern auch ein Umdenken, also ein Paradigmenwechsel. Da muss man wegkommen von dem Bedürfnis, alle Formalitäten mit den richtigen Unterlagen abzustempeln, bevor etwas sein darf. Und das braucht Zeit und Überzeugungsarbeit. 

BBZ: Timothy, Danke für das Interview. Wir wünschen dir viel Erfolg bei deiner Arbeit.

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