Die berlinweite Selbsthilfe Kontakt- und Informations-Stelle
In unserer Serie zum Thema Selbsthilfe haben wir ein
Interview mit Ella Wassink geführt und stellen SEKIS vor. Das Interview führte Martin Schultz.
BBZ: Frau Wassink, wer oder was ist SEKIS?
Ella Wassink: SEKIS Berlin ist die berlinweite Selbsthilfe Kontakt- und Informations-Stelle, neben der es noch 12 bezirkliche Kontaktstellen gibt. Alle haben unterschiedliche Namen (und unterschiedliche Träger), sind jedoch jeweils Mitglied im Dachverband der Berliner Selbsthilfekontaktstellen, Selko e. V. Die Selbsthilfekontaktstellen informieren und beraten Interessierte, stellen Räume für Gruppen und Initiativen zur Verfügung, unterstützen bei Gruppengründungen, begleiten und bestärken Gruppen in ihren Anliegen, helfen bei der Öffentlichkeitsarbeit und bieten vielfältige Veranstaltungen an. SEKIS Berlin unterstützt und vernetzt zudem die Berliner Selbsthilfekontaktstellen und bietet Informationen zum Thema Selbsthilfe für ganz Berlin an. Hier ist besonders die Datenbank zu nennen, in der alle Selbsthilfegruppen und Initiativen gelistet sind, die dies möchten oder die eine Förderung durch die Krankenkassen wünschen. Letzteres ist für die gesundheitliche Selbsthilfe nur möglich, wenn eine Gruppe in der SEKIS-Datenbank geführt wird.
SEKIS bietet Weiterbildungen für Mitglieder von Selbsthilfegruppen und -organisationen an und ist Mitglied in diversen politischen Gremien, wie der Landesgesundheitskonferenz. Vernetzungsarbeit mit anderen Organisationen und politische Lobbyarbeit gehört ebenfalls zu den Aufgaben der landesweiten Selbsthilfekontaktstelle SEKIS Berlin.
BBZ: Arbeiten die Kontaktstellen auch mit Selbsthilfeorganisationen zusammen?
Wassink: Wir arbeiten in vielen Bereichen mit Selbsthilfeorganisationen zusammen, denn dort sind ja viele – wenn auch nicht alle – Selbsthilfegruppen zu Hause! Unsere Fortbildungsangebote richten sich an alle Menschen in der Selbsthilfe – ob in einer Gruppe oder einer Organisation. Die Datenbank von SEKIS verzeichnet nicht nur die einzelnen Selbsthilfegruppen sondern auch deren Organisationen. Darüber hinaus gestalten wir mit verschiedenen Selbsthilfeorganisationen gemeinsam Fachtage oder – wie im letzten Jahr mit bipolaris e. V. und dem Berliner Behindertenverband zusammen – den Aktionstag Selbsthilfe auf dem Potsdamer Platz.
BBZ: Sind die Mitarbeitenden auch selbst in der Selbsthilfe aktiv?
Wassink: Was die Mitarbeiter*innen privat machen, kann ich und dürfte ich gar nicht sagen. Ich weiß jedoch, dass alle mit sehr viel Engagement und Begeisterung dabei sind und schlicht von der Selbsthilfe überzeugt sind. Denn wir wissen eines: Selbsthilfe wirkt! Und das zeigen wir alle – die Mitarbeitenden der 12 bezirklichen Selbsthilfe-Kontaktstellen und der landesweiten Kontaktstelle – auch in unserem Engagement, das so manches mal weit über die normale Arbeitszeit hinausgeht. Mit Ständen, die am Wochenende betreut werden, mit Kontakten und Weiterbildungen jenseits von „normalen“ Büroarbeitszeiten.
BBZ: Wie sieht die Zukunft der Selbsthilfe aus?
Wassink: Viele Menschen denken ja, dass es die klassische Selbsthilfe bald gar nicht geben werde: Social Media, Apps, überalterte Gruppen und gesellschaftliche Veränderungen würden dazu führen. Das sehe ich nicht so. Zum einen gibt es manche Erkrankungen erst im höheren Alter, daher sind die Mitglieder von Selbsthilfegruppen häufig etwas älter. Zum anderen merken wir, dass sich viele (auch junge) Gruppen bilden: allerdings mit anderen, neuen Themen als zuvor. Ob Internetabhängigkeit, Verschickungskinder, Trennung von Nazisten oder Hochsensibilität – neue Themen, die es vor wenigen Jahren noch gar nicht gab. Social Media und Apps, Foren und Chats können die Selbsthilfe erweitern und sind für viele Erkrankte auch eine gute (und für manche, die nicht mobil sind, die einzige) Möglichkeit des Austausches. Sie müssen nicht verhindern, dass Menschen sich auch real treffen wollen. Wichtig ist, dass bei den entsprechenden Anbietern der Datenschutz gewährleistet wird – und zwar in besonderem hohen Maße: Denn gesundheitliche Informationen über die Mitglieder von (Online)-Selbsthilfegruppen sind besonders schützenswert. Eines unserer Anliegen und Schwerpunkte im Moment ist es, das Thema Selbsthilfe insgesamt im Gesundheitswesen noch mehr zu verankern. Natürlich haben einzelne Ärzt*innen und Psychotherapeut*innen die Selbsthilfe im Hinterkopf, aber es sind noch zu wenige, die wirklich regelhaft auch auf die Selbsthilfe verweisen. Ob im Entlassmanagement der Krankenhäuser und Rehakliniken oder bei Physio- und Ergotherapeuten und so vielen anderen Berufen: Auf die Selbsthilfe zu verweisen, sollte in Zukunft grundlegend überall gängige Praxis sein.
Daher arbeiten wir gerade daran, den angehenden Fachleuten, die in den Gesundheits- und Pflegeberufen arbeiten werden, das Thema Selbsthilfe schon in der Ausbildung zu vermitteln. Da haben wir gerade unseren ersten Kooperationsvertrag mit der Alice Salomon Hochschule abgeschlossen, auf den wir sehr stolz sind. Durch die Partnerschaft sollen ASH-Studierende in Gesundheitsberufen für den Aspekt Selbsthilfe als wesentliche Unterstützung von Menschen mit Krankheiten und Behinderungen sensibilisiert werden. Bereits jetzt stellen Selbsthilfe-Aktive und -Professionelle regelmäßig ihren Arbeitsbereich in Lehrveranstaltungen der Hochschule vor. In den nächsten fünf Jahren sollen gemeinsame Aktivitäten von ASH Berlin und SEKIS Berlin in der Lehre und auch im Bereich Forschung gestärkt werden. Eine selbsthilfefreundliche Hochschule: Das sollte Schule machen!
BBZ: Besten Dank für das Interview.