Gleiche Arbeit muss auch gleich bezahlt werden
Seit 1.7.2019 werden Assistent*innen, die im Arbeitgeber*innenmodell bei assistenzbedürftigen Menschen direkt angestellt sind, schlechter bezahlt als Assistent*innen, die bei ambulante dienste e. V. und Neue Lebenswege gGmbH angestellt sind. Und das, obwohl die während der Arbeit geleisteten Tätigkeiten völlig identisch sind.
Dies beruht darauf, dass die Mitarbeiter*innen der beiden größten Berliner Assistenzdienste in Zusammenarbeit mit ver.di einen Haustarifvertrag abschließen konnten. Dieser Haustarifvertrag sieht vor, dass die Assistenzkräfte nach Entgeltgruppe 5 des Tarifvertrags der Länder (TV-L) entlohnt werden. Grundlage dieser Eingruppierung ist ein Gutachten von ver.di. Gemäß des Bundessozialgerichtsurteils, nach dem Vergütungen auf Grundlage eines Tarifvertrags als angemessen gelten, konnten die Assistenzdienste mit den Pflegekassen einen entsprechend hohen Vergütungssatz aushandeln. Bis zum Abschluss dieses Haustarifvertrags wurden alle Assistent*innen in Berlin – also sowohl diejenigen, die bei den Assistenzdiensten angestellt waren, als auch diejenigen, die bei behinderten Arbeitgeber*innen angestellt
waren – nach TV-L-Entgeltgruppe 3 entlohnt.
Mit dem bisherigen Kostensatz war es jedoch nur für behinderte Arbeitgeber*innen möglich, Zuschläge (für Nacht-, Samstags-, Sonntags- und Feiertagsarbeit) und Sonderzahlungen in voller Höhe auszuzahlen. Mit dieser „Besserstellung“ wurde die Tatsache honoriert, dass die Assistent*innen im Arbeitgeber*innenmodell eine größere Verantwortung tragen und überdurchschnittlich zuverlässig sein müssen. Das Team muss alle Krankheits- und Urlaubsvertretungen abdecken. Anders als bei den Assistenzdiensten steht kein Bereitschaftsdienst zur Verfügung, der “von außen“ bei Krankheit eines Teammitglieds einspringen kann. Seit dem Abschluss des Haustarifvertrags hat sich diese Besserstellung in eine Benachteiligung umgewandelt. Die zuständige Senatsverwaltung ist nicht bereit, den behinderten Arbeitgeber*innen den nötigen Geldbetrag zu bewilligen, sodass sie ihre Angestellten ebenfalls nach Entgeltgruppe 5 entlohnen können. Unter dieser Voraussetzung werden behinderte Arbeitgeber*innen keine Assistent*innen mehr für sich gewinnen können bzw. Assistent*innen, die bereits bei behinderten Arbeitgeber*innen beschäftigt sind, werden kündigen und zu den beiden großen Berliner Assistenzdiensten wechseln. Wer will sich schon darauf einlassen, eine größere Verantwortung und Zuverlässigkeit an den Tag legen zu müssen als unbedingt nötig – und dafür noch durch geringere Entlohnung „bestraft“ zu werden?
Diese Weigerung der Senatsverwaltung ist weder inhaltlich noch finanziell nachvollziehbar
Bisher galt, dass die Kalkulation, welche die behinderten Arbeitgeber*innen jährlich erstellen müssen, den Betrag nicht überschreiten darf, den die Dienste für die entsprechende Leistung erhalten würden. Selbst, wenn die behinderten Arbeitgeber*innen ihre Assistent*innen gemäß Entgeltgruppe 5 bezahlen würden, wäre dies aber nicht der Fall. Ganz im Gegenteil: Allein bei den 10 behinderten Arbeitgeber*innen, für die die Arbeitsgemeinschaft für selbstbestimmtes Leben schwerstbehinderter Menschen (ASL) e. V. die jährlichen Kalkulationen erstellt, ergäbe sich eine jährliche Einsparung von 1.231.312,15 € gegenüber der Inanspruchnahme eines Assistenzdienstes. Das heißt, wenn alle behinderten Arbeitgeber*innen ihre Assistenz über Assistenzdienste beziehen würden, hätte das Mehrausgaben in Millionenhöhe zur Folge.
Assistenzbedürftige Menschen haben als behinderte Arbeitgeber*innen eine deutlich höhere subjektive Lebensqualität: Sie müssen keine Pflegedokumentation führen und können ihre Assistent*innen völlig frei wählen. Bei einem Assistenzdienst können assistenzbedürftige Menschen nur aus dem Pool der Angestellten wählen. Aus den genannten Gründen ist das Arbeitgeber*innenmodell eine Win-Win-Situation – für behinderte Arbeitgeber*innen einerseits und für die Senatsverwaltung anderseits. Trotzdem tut die Senatsverwaltung durch die Verweigerung einer gleichen Bezahlung (und übrigens auch, indem behinderten Arbeitgeber*innen latent Unglaubwürdigkeit bzw. Veruntreuung von Steuergeldern unterstellt wird) alles dafür, das Arbeitgeber*innenmodell auszutrocknen. Darum rufen ASL e. V. und der Berliner Assistenz Verein (BAV) e. V. alle, die sich mit behinderten Arbeitgeber*innen solidarisieren wollen, zu Protestaktionen gegen die zuständige Senatorin bzw. den zuständigen Staatssekretär auf. Aktionsvorschläge sind herzlich willkommen.