Behindertenpolitik der Bundesregierung zwischen Pauschbetrag, IPReG und Mindestlohn

Auf den ersten Blick könnten wir als BBV wohl mit der aktuellen Politik der Bundesregierung doch sehr zufrieden sein, oder? Sie hat nämlich tatsächlich die Forderung aus unserer Diskussionsveranstaltung am 9. Dezember 2019 aufgegriffen und möchte nun – erstmals seit 45 Jahren – den steuerlichen „Behinderten-Pauschbetrag“ deutlich erhöhen. Stimmten Bundestag und Bundesrat dem von Bundesfinanzminister Olaf Scholz sowie Arbeitsminister Hubertus Heil eingebrachten Gesetzentwurf zu, könnten sich Menschen mit Behinderung und deren Angehörige ab Januar 2021 über beachtliche Entlastungen freuen. Also ist doch super – was will Mensch mehr?

Mitnichten super. Besser gesagt, nur für einen Teil der Betroffenen. Denn nahezu gleichzeitig mit der „Scholz-Heil-Initiative“ zur längst überfälligen Pauschbetrag-Erhöhung hat der Bundestag auf Vorschlag von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn am 2. Juli 2020 gegen den Protest Betroffener das „Intensivpflege- und Rehabilitationsstärkungs-Gesetz (IPReG)“ beschlossen. Zwar gelang es der Behindertenbewegung hier, in buchstäblich letzter Minute mit Unterstützung der SPD-Fraktion noch einige „Entschärfungen“ gegenüber dem ursprünglichen Spahn-Entwurf durchzusetzen, doch müssen Menschen mit Assistenzbedarf weiterhin die zwangsweise Unterbringung in Heimen befürchten – wenn dieser Assistenzbedarf zufälligerweise das Element „Beatmung“ beinhaltet. Die Hürden, hierfür noch ein Persönliches Budget nutzen zu können, wurden/werden mit dem IPReG massiv erhöht. Was das noch mit „Selbstbestimmung“, „Menschenwürde“ und „Inklusion“ zu tun haben soll, konnten bisher weder Spahn noch andere GroKo-Vertretende stimmig erklären.

Leider scheint es also für die Bundesregierung mehrere „Klassen“ von Menschen mit Behinderung zu geben, bei deren Einteilung wohl Kriterien wie „öffentliche Artikulationsfähigkeit“ und „volkswirtschaftlicher Nutzwert“ eine gewisse Rolle spielen. Oder wie sonst lässt sich bitte auch noch rechtfertigen, dass „Beschäftigte“ in WfbM (Werkstätten…) nach wie vor mit Stundenlöhnen von ca. 1,50 € entlohnt werden, obwohl deren Tätigkeit häufig durchaus „regulären“ Industrie- oder Büroarbeiten vergleichbar sind? Wenn man für WfbM schon nicht die Regel „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ anerkennt, der Gesetzliche Mindestlohn sollte es denn doch mindestens sein.

Ja, liebe Bundesregierung und liebe GroKo, was denn nun? Wollt Ihr wirklich eine Verbesserung der Lebensbedingungen aller Menschen mit – egal wie „schwerer“ – Behinderung? Dann müsstet ihr aber auch Dinge wie das IPReG oder die Vergütung in den WfbM tatsächlich im Sinne der Betroffenen überarbeiten. 

Oder wollt Ihr gewissermaßen „Muster-Krüppel“ fördern und all‘ jene, die keinen aktiven ökonomischen Beitrag leisten können, mit Minimalleistungen nach Kassenlage abspeisen? Dann passten erhöhter Pauschbetrag, IPReG und aktuelle WfbM-Vergütung wunderbar in ein – insgesamt unschönes – Gesamtbild.

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