Der Verein Angehörige psychisch Kranker

In diesem Serienteil stellen wir den Selbsthilfeverband Angehörige psychisch erkrankter Menschen Landesverband Berlin e.V. vor. Das Interview führte Martin Schultz mit Gudrun Weißenborn. Sie ist Projektleiterin beim Selbsthilfeverband Angehörige psychisch erkrankter Menschen Landesverband Berlin e.V. (Kurzform ApK Berlin).

BBZ: ApK steht für Angehörige psychisch erkrankter Menschen – Wie und wann ist der Verein entstanden, was sind eure Ziele?

Weißenborn: „Hoffnung macht Sinn“ – ApK Berlin ist eine Anlaufstelle für Angehörige von Menschen mit psychischen Krisen und bietet Beratung von Angehörigen für Angehörige. Als Landesverband ist er Ansprechpartner für alle Anfragenden im Land Berlin. Entstanden aus einer Selbsthilfegruppe von Angehörigen psychisch erkrankter Menschen gründetet sich der Landesverband im Jahr 1989. Damals gab es für Angehörige keine Hilfsangebote und ihr Leid als mittelbar Betroffene wurde weder gesehen noch beachtet. Im Gegenteil: Schuldzuweisungen waren zu der Zeit noch sehr weit verbreitet. In all den Jahren wurden wiederholt neue Theorien zur Entstehung und Behandlung psychischer Erkrankung bemüht, die die Not der Angehörigen zum Teil verstärkte. 

Erst in den letzten 30 Jahren hat sich die Situation grundlegend zum Positiven geändert – nicht zuletzt durch die Aktivitäten von Angehörigenverbänden. Ziel unserer Arbeit ist es, eine nachhaltige Verbesserung der Lebensbedingungen von Angehörigen seelisch belasteter Menschen und von den Betroffenen selbst zu erreichen. Wir vertreten die Interessen von Angehörigen auf individueller, gesellschaftlicher sowie politischer Ebene in dem Bewusstsein, dass Angehörige die Genesung von Betroffenen direkt beeinflussen und von zentraler Bedeutung für das Versorgungssystem als Ganzes sind. Aufklärung, Selbsthilfe und Trialog ruhen im Mittelpunkt unseres Engagements und helfen dabei, den Wandel der bestehenden psychiatrischen Verhältnisse zu gestalten. Der ApK löst sich vom medizinischen Begriff ‚psychischer Krankheit‘ in dem Wissen, dass diese Begrifflichkeit Stigmatisierung und Distanz fördert und tritt für ein öffnendes Verständnis von Phänomenen wie Psychosen oder Depressionen ein. Wir setzen uns für einen offenen, toleranten, respektvollen und ressourcenorientierten Umgang mit Menschen ein, die von seelischem Leid betroffen sind.

BBZ: Seht ihr euch als Teil der Selbsthilfe? 

Weißenborn: „Selbsthilfe ist ein Netzwerk“ – Keimzelle unseres Vereins ist die Bildung von Angehörigengruppen, in denen Angehörige sich austauschen können und Solidarität und gegenseitige Unterstützung erfahren. Wir verbinden Menschen mit ähnlichen Erfahrungen, die dabei helfen, selbstbestimmt die eigene Rolle zu finden und das Selbsthilfepotenzial zu aktivieren. Entsprechend fördern wir Selbsthilfegruppen von/für Eltern, Partner*innen und Freund*innen, erwachsenen Kindern psychisch erkrankter Eltern oder erwachsenen Geschwisterkindern von Betroffenen. „Selbsthilfe ist Selbstwirksamkeit“ – Wir verstehen Angehörigenarbeit als einen Prozess, den jede*r Angehörige mit sich selbst zu gestalten und auszumachen hat. Wir stärken die Anfragenden darin, einen konstruktiven Umgang mit sich selbst und den eigenen Ressourcen, als auch mit dem betroffenen Menschen und dem System zu finden.

BBZ: Was ist eure Hauptaufgabe, welche aktuellen Projekte gibt es?

Weißenborn: „Weil es sagbar ist“ – Noch immer unterliegen seelische Beeinträchtigungen einem Tabu. Wir machen das Tabu zum Thema und holen die Menschen aus ihrer Isolation und gehen in den dialogischen Austausch. „Angehörige beraten Angehörige“ – Auf individueller Ebene bietet der ApK Berlin unabhängige und anonyme Beratung von Angehörigen für Angehörige, unterstützt die Initiativen der Selbsthilfegruppen für Angehörige und organisiert öffentliche Informationsveranstaltungen und Tagungen zu speziellen Themen. Daraus entstand die Angehörigen-Akademie, mit dem Angebot der Qualifizierung Angehörige zu Peer-Berater*innen. „Selbsthilfe ist politisch“ – Der ApK Berlin nimmt die politische Interessenvertretung aktiv wahr. Er ist stimm-
berechtigt vertreten in den psychosozialen Gremien auf Landes- und Bezirksebene und engagiert sich in den Beiräten verschiedener Institutionen für die Überwindung von Diskriminierung und strukturell problematischer Gegebenheiten. Wir verschaffen den Belangen von Angehörigen Gehör, darunter auch denen von minderjährigen Kindern. 

BBZ: Welche Bedingungen sollten noch verbessert werden, um eure Arbeit zu unterstützen?

Weißenborn: „Selbsthilfe ist Partizipation“ – Partizipation fokussiert auf Mitbestimmung und Mitwirkung und nimmt Einfluss auf die Ergebnisse von Entscheidungen. Es geht also um die Frage nach der Verteilung von Entscheidungsbefugnissen und damit auch um die Frage der Machtverteilung – sowohl auf individueller als auch auf politischer Ebene.  

BBZ: Besten Dank für das Interview.

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