Studie: Beeinträchtigungen bei Studierenden fast nie sichtbar

Elf Prozent der rund 2,8 Millionen Studierenden in Deutschland haben eine studienrelevante Beeinträchtigung. Zwei Drittel der Studierenden haben beeinträchtigungsbedingte Zusatzkosten. Nur bei 4 % von ihnen ist die gesundheitliche Beeinträchtigung auf Anhieb wahrnehmbar.

Die große Mehrheit der Studierenden mit Beeinträchtigungen bleibt unerkannt, wenn sie es will. Dies geht aus einer veröffentlichten Studie des Deutschen Studentenwerks (DSW) und des Deutschen Zentrums für Hochschul- und Wissenschafts­forschung (DZHW) hervor, für welche rund 21.000 Studierende mit studienrelevanten Beeinträchtigungen von 153 Hochschulen online befragt wurden.

Die Gruppe der Studierenden mit studienrelevanten Beeinträchtigungen ist heterogen. Nur bei 4 % der Studierenden ist die Beeinträchtigung auf Anhieb zu erkennen, bei gut zwei Dritteln (67 %) ist sie auch auf Dauer nicht sichtbar. Mehr als die Hälfte der Studierenden (53 %) hat psychische Erkrankungen, die sich studienerschwerend auswirken, das sind acht Prozentpunkte mehr als 2011. Für 20 % wirken sich chronisch-somatische Erkrankungen (z. B. Multiple Sklerose, Rheuma oder Epilepsie), für 10 % Bewegungs- und Sinnesbeeinträchtigungen, für 4 % Legasthenie und andere Teilleistungsstörungen und für 6 % sonstige Beeinträchtigungen studienerschwerend aus. 7 % haben mehrere gleich starke studienrelevante Beeinträchtigungen. Starke Studienerschwernisse ergeben sich daraus für drei von fünf Studierenden (62 %).

Nichtsichtbarkeit der Beeinträchtigung: Das trifft vor allem auf die Gruppe der Studierenden mit psychischen Erkrankungen zu, mit chronisch-somatischen Erkrankungen und Teilleistungsstörungen, wie beispielsweise Legasthenie. Aber auch Studierende mit Mehrfachbeeinträchtigungen, mit Sinnes- und Bewegungsbeeinträchtigungen können dazugehören. „Die Herausforderung ist, erkennen zu lernen, was nicht ohne Weiteres zu erkennen ist“, formuliert Prof. Dr. Rolf-Dieter Postlep, der Präsident des Deutschen Studentenwerks, mit Blick auf diese Studierenden.

Wie die neue Studie „beeinträchtigt studieren – best2“ zeigt, geben Studierende mit nicht-wahrnehmbaren Beeinträchtigungen besonders häufig Studienschwierigkeiten an. Aber gerade sie verzichten oft auf erforderliche Nachteilsausgleiche im Studium oder bei Prüfungen, obwohl sie ihnen rechtlich zustehen. Vielen ist nicht bewusst, dass sie anspruchsberechtigt sind. Ein großer Teil lehnt eine „Sonderbehandlung“ ab oder die Studierenden wollen nicht, dass ihre Beeinträchtigung bekannt wird.

Vielfältige Barrieren im Studium

Neun von zehn Studierenden (89 %) geben beeinträchtigungsbezogene Schwierigkeiten bei der Organisation und Durchführung des Studiums, in Prüfungs- und Lehrsituationen an. Wie schon 2011 entstehen sie am häufigsten durch hohe Prüfungsdichte, Anwesenheitspflichten und zeitliche Vorgaben zum Leistungspensum. Für 7 % ergeben sich Studienschwierigkeiten aufgrund baulicher Barrieren, unzureichender räumlicher Ausstattungen oder fehlender Rückzugsräume.

Die Angst vor Ablehnung oder Stigmatisierung erschwert zugleich besonders häufig die Kommunikation und Kontaktaufnahme mit Lehren­den, mit Studierenden oder dem Verwaltungspersonal. Daraus entstehen neue Probleme bei der Studiendurchführung.

Rund 44 % der Studierenden haben beeinträchtigungsbezogene Schwierigkeiten im sozialen Miteinander, die Auslöser oder Verstärker von Studienproblemen sind. Insbesondere die Angst vor Ablehnung und Stigmatisierung sowie negative Erfahrungen im Zusammenhang mit dem „Outing“ erschweren die Kommunikation mit Lehrenden, Mitstudierenden und der Verwaltung. „Wenn sich Studierende davor fürchten, ihre Beeinträchtigung in der Hochschule zu offenbaren, sind wir noch weit entfernt von einer inklusiven Hochschule“, folgert Rolf-Dieter Postlep. „Lehrende müssen stärker für die Belange von Studierenden mit nicht-wahrnehmbaren Beeinträchtigungen sensibilisiert werden“.

Nachteilsausgleiche zu selten genutzt

Weniger als ein Drittel (29 %) der Studierenden hat – wie 2011 – zumindest einmal einen Nachteilsausgleich eingefordert, am häufigsten für konkrete Prüfungssituationen. 62 % der Anträge wurden im Schnitt bewilligt. Drei von vier Nutzer/-innen (73 %) bewerten die Maßnahmen als hilfreich. Studierende verzichten auf Nachteilsaus- gleiche, weil ihnen die Anspruchsvoraussetzungen nicht klar sind, sie Hemmungen haben oder sie keine „Sonderbehandlung“ wollen.

Drei Viertel der Studierenden nutzen – mehrheitlich ausschließlich – selbstorganisierte Maßnahmen zur Kompensation von beeinträchtigungsbezogenen Schwierigkeiten. Die Unterstützung durch das familiäre Umfeld und Ärzt/-innen und Therapeut/-innen ist dabei von besonderer Bedeutung. Jede/r Dritte wird von Kommiliton/-innen unterstützt.

Ungesicherte Finanzierung

Neun von zehn Studierenden kennen mindestens ein spezifisches Beratungsangebot der Hochschulen und Studenten-/Studierendenwerke, ein Drittel hat mindestens eins davon genutzt – deutlich mehr als 2011. Hauptthemen sind der Umgang mit der eigenen Beeinträchtigung und die Beantragung von Nachteilsausgleichen. Drei von fünf Studierenden profitierten von der Beratung. Als besonders hilfreich wird eine bedarfsgerechte Unterstützung in der Studieneingangsphase erachtet.

Zwei Drittel der Studierenden haben beeinträchtigungsbedingte Zusatzkosten für Lebensunterhalt und Studium, die sie finanziell belasten. Für jeden sechsten von ihnen ist der Lebensunterhalt nicht gesichert.

 

Hintergrund: „best2“

Die Studie „beeinträchtigt studieren – best2“ wurde vom Deutschen Studentenwerk gemeinsam mit dem Deutschen Zentrum für Hochschul- und Wissenschaftsforschung (DZHW) und in Zusammenarbeit mit dem Institut für Höhere Studien in Wien (IHS) durchgeführt. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung hat „best2“ gefördert. Rund 21.000 Studierende mit gesundheitlichen Beeinträchtigungen von 153 Hochschulen nahmen im Wintersemester 2016/2017 an der Online-Befragung teil. Es ist die einzige bundesweit repräsentative Befragung der Gruppe der beeinträchtigten Studierenden.

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