„Ob Jung oder Alt – man hat die gleichen Gefühle“

Die WIR-Redaktion hat in seiner Ausgabe 1/2020 sechs einfühlsame Portraits zum Thema „Selbstbestimmt im Alter“ veröffentlicht, die wir als unbedingt lesenswert erachten. Im kollegialen Einverständnis mit der WIR-Redaktion, den Autoren und dem Fotografen Andi Wieland drucken wir diese Portraits als Serie ab. Herzlichen Dank an unsere WIR-Kollegen.

Eine Tsetse-Fliege veränderte sein Leben. Bis zu seinem 16. Lebensjahr war Bernd Schulz voll- kommen gesund. Geboren und aufgewachsen in Berlin-Rudow fuhr er mit seinen Eltern gerne nach Österreich in die Sommerferien. Ferien auf dem Bauernhof in der österreichischen Alm war nicht nur in den 1960er Jahren eine beliebte Ferienbeschäftigung. Bernd Schulz, gerade 16 Jahre alt geworden, freundete sich dort mit dem Bauern und Urlaubswirt an. Wie bei Heidi, nur in Österreich, trieb er gemeinsam mit dem Bauer die Kühe morgens auf die Alm und abends wieder runter. Der Urlaub war idyllisch, nur die Folgen waren dieses Jahr anders: „Als ich nach drei Wochen mit meinen Eltern zurück in Rudow war, kriegte ich eine Erkältung. Meine Mutter ist mit mir zum Arzt gegangen und der Arzt sagte, das ist eine Erkältung“, erzählt der heute 70-jährige im Rückblick. Wo Kühe sind, gibt es auch viele Fliegen. Normalerweise halten sich Tsetse-Fliegen in Afrika auf und nicht auf der Alm. Für Bernd Schulz war es diese eine Ausnahme, die sein Leben verändern sollte.

Eine Odyssee durch die Krankenhäuser

Aus der Erkältung wurde Fieber. Sehr hohes Fieber. Mit knapp 42 Grad endlich im Krankenhaus angelangt, erkannten die Ärzte lange Zeit nicht die Ursache. „Ihr Sohn wird wieder voll- kommen gesund“, versicherte ein Arzt seiner besorgten Mutter. Doch es folgte eine monatelange Odyssee durch verschiedene Krankenhäuser. „Als ich endlich entlassen wurde, konnte ich nur noch auf Krücken laufen.“ Lähmungserscheinungen im zentralen Nervensystem und andere dauerhafte Beeinträchtigungen sind nach überstandener Meningitis keine Seltenheit. Das zu späte Erkennen, was die Meningitis bei Bernd Schulz ausgelöst hatte, kostete ihn seine Gesundheit. Auch seinen Berufswunsch konnte er nicht in die Realität umsetzen.

Dieses Mal machte ihm keine Fliege einen Strich durch die Rechnung, sondern die fehlende Bereitschaft, ihn trotz Folgeerscheinungen der Krankheit auszubilden. „Ich wollte eigentlich Offsetdrucker in der Bundesdruckerei werden und habe auch die Prüfung als einer der besten abgelegt“, erzählt Bernd Schulz stolz, „aber ich konnte nur mit der Krücke laufen und da haben die gesagt, nein, den nehmen wir nicht.“ Meningitis verschlechtere die geistigen Fähigkeiten, hieß die ärztliche Diagnose in seiner Jugend. 

„Ich fühle mich wie 30 oder 40 Jahre alt“

Mittlerweile fehlte Bernd Schulz die notwendige Unterstützung und das Selbstvertrauen, einen anderen Berufsweg einzuschlagen. Bis heute hat er über Meningitis viel gelesen. Er kennt sich mit der Krankheit gut aus und fühlt sich trotz der bleibenden Symptome fit. „Ich kann bestätigen, dass man sich auch im Alter viel jünger fühlt, bei mir mindestens wie 30 oder 40“, lacht er. Nach dem Tod seiner Eltern ist Bernd Schulz in eine betreute Wohngemeinschaft der Fürst Donnersmarck- Stiftung (FDST) nach Tempelhof gezogen. Dort fühlt er sich wohl. Aus den Krücken ist mittlerweile ein Rollstuhl geworden. Gerne geht er zu den Treffen der Seniorengruppe des Ambulant Betreuten Wohnens der FDST, auch wenn er sich noch so jung fühlt.

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