Die Selbsthilfegruppe Aphasie aus Pankow

Der Treffpunkt war kein Gruppenraum im Stadtteilzentrum, sondern der S-Bahnhof Buch. Dort trafen sich die sieben Teilnehmenden zu einem Spaziergang, aber vorher ging es zum Interview in ein Café. 

Obwohl es bei Aphasie um Probleme mit dem Sprechen geht, begann sogleich ein lebhaftes Gespräch mit der Gruppe, die sich vor gut einem Jahr in Pankow gegründet hat. Aphasie-Selbsthilfegruppen gab es vorher schon in Lichtenberg, Friedrichshain, Wilmersdorf und Spandau, aber in Pankow noch nicht. Also hat Karin Jürschik zusammen mit ihrer langjährigen Bekannten, die die einzige Nicht-Betroffene in der Runde ist, die Initiative ergriffen und ist auf die KIS Pankow zugegangen. Aushang und Flyer wurden vorbereitet und ein Termin für einen Gruppenraum im Stadtteilzentrum gefunden. Mittwochs um 14 Uhr alle vierzehn Tage wollte man sich treffen. So startete die Gruppe. Dann kam Corona und das Stadtteilzentrum wurde im März wie viele andere Einrichtungen für Gruppen geschlossen. Das hinderte die insgesamt acht regelmäßig Teilnehmenden nicht daran sich weiter zu treffen, z.B. im privaten Garten, zum Spaziergang im Park oder einem Besuch in der Museumsbäckerei in Pankow. Begegnungen mit anderen Gruppen gehören ebenfalls zum Programm und einige singen zusammen im Berliner Aphasiker-Chor (ACB), den es seit fast zehn Jahren, der auch öffentlich auftritt. Gegründet wurde der Chor übrigens gemeinsam vom Aphasie Landesverband Berlin und der
Charité – Gesundheitsakademie, Ausbildungsbereich Logopädie. Leider ist das Singen momentan durch Corona nicht möglich und es finden keine Chorproben statt. „Wenn wir uns treffen, wird erst über aktuelle Themen gesprochen. Jemand hat etwas zu berichten, z.B. von einer Reise oder anderen Dingen. Dann nach einer Stunde wird gespielt“, erzählt Karin Jürschik, die vor zwanzig Jahren bei einem häuslichen Unfall eine Hirnblutung erlitt, anschließend tagelang im Koma lag und, als sie aufwachte, nicht mehr sprechen konnte. „Wir spielen Wortfindungsspiele, nicht Mensch-Ärgere-Dich-Nicht. Die können helfen und trainieren die sprachlichen Fähigkeiten.“ Selbsthilfe ist also in diesem Fall mehr als nur ein Austausch über gemeinsame Probleme auf Augenhöhe, sie ist vielmehr praktisches Training und fast ein wenig Therapie. 

Dennoch nutzen einige auch nach Jahren Logopädie, berichtet eine andere Teilnehmerin. Sie erlitt vor drei Jahren beim Sport eine Hirnblutung. Zum Glück gab es in dem Fitnessstudio schnell Hilfe und nach Klinik und Reha spricht sie heute wieder sehr flüssig. „Ich bin trotzdem nicht zufrieden und übe weiter intensiv, weil ich früher als Erzieherin den ganzen Tag geredet habe und noch besser werden möchte.“ Die Sprachfähigkeiten in der Gruppe sind unterschiedlich, aber alle haben die gemeinsame Erfahrung und daher Verständnis, wenn es mal nicht so klappt mit den richtigen Worten. Das fehle gelegentlich bei anderen Menschen, darum hilft die Gruppe. Anders als bei anderen Gruppengründungen, mussten die Mitarbeiterinnen der KIS nicht viel Unterstützung leisten in der Startphase. Die Gruppe funktionierte von Anfang an und die Runde macht den Eindruck, dass sie alle noch viel vorhaben. Trotz des Regens geht es schließlich los und der Spaziergang durch den Schlosspark Buch beginnt mit einstündiger „Verspätung“ durch das angeregte Gespräch. 

Weg zurück ins Leben

Karin Jürschik schrieb vor einigen Jahren ein Buch, das 2014 erschienen ist. Es heißt „Eine Sekunde…“ und beschreibt kurz die Zeit vor dem Unfall im Mai 2000, vor allem aber das Geschehen danach und den langen Weg zurück ins Leben auf sehr beindruckende Weise. Karin Jürschik hat in dem Buch die Ereignisse bzw. die eine Sekunde, die ihr Leben änderte, verarbeitet und macht damit auch anderen Betroffenen Mut. Sie möchte sich auch weiter ehrenamtlich engagieren und dabei ist ihr eine Sache besonders wichtig in ihrem zukünftigen Ehrenamt: Viel sprechen! 

Aphasie ist griechisch und bedeutet Verlust der Sprache. Zirka 80% der Betroffenen haben einen Schlaganfall erlitten, aber auch Unfälle oder ein Tumor können eine Aphasie verursachen.  Durch das Ereignis können auch andere Folgen (Lähmungen) eintreten.

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