Behindertensport im Lockdown

Covid 19 wird unser tägliches Leben länger beeinträchtigen. Wir wissen inzwischen, dass ein „Wellenbrecher Lockdown“ wohl nicht ausreichen wird, um die Infektionszahlen ausreichend zu senken. Ich halte es für dringend erforderlich, dies im Sinne der Transparenz den Menschen zu sagen. Mindestens noch für ein halbes Jahr, wahrscheinlich bis Ende des Jahres 2021, sind wesentliche Einschränkungen zu erwarten. 

Dementsprechend muss der Staat bei Verboten auch stärker differenzieren, als das bisher der Fall ist, wo man eher mit pauschalen Maßnahmen vorging. Wir wissen, dass durch die pauschalen Einschränkungen Kollateralschäden auftreten können.Ich will nur ein paar nennen. Nach Presseberichten nehmen Depressionen zu. Mangelnde Bewegung wird gesundheitliche Spätschäden nach sich ziehen. Fortbildungen werden erschwert. Die Zahlen häuslicher Gewalt nehmen zu. Das alles sind Folgen der derzeitigen Einschränkungen. Sie werden heute in Kauf genommen, vielleicht ging es in der aktuellen Situation, in der man schnell handeln musste, auch nicht anders. Aber wenn die Maßnahmen jetzt längerfristig wirken werden, können die Kollateralschäden in erheblichen Widerspruch zu Grundrechtspositionen der Betroffenen kommen.

Das wird besonders deutlich im Sport. Nach unserer Verfassung von Berlin ist Sport nicht nur ein förderungswürdiger, sondern ein schützenswerter Teil des Lebens, Artikel 32 Satz 1. Nach der aktuellen Fassung der Berliner SARS-CoV-2-Infektionsschutzverordnung darf Sport nur allein oder mit einer anderen Person kontaktfrei erfolgen, § 5 Abs.7 Satz 1. Ausgenommen sind Ehe- und Lebenspartnerinnen und -partner und Angehörige des eigenen Haushalts, § 5 Abs.7 Satz 2 Buchstabe a), Bundes- und Landeskaderathleten, Profiligen und Berufssportlerinnen und Berufssportler, § 5 Abs.7 Satz 2 Buchstabe b) und Kinder im Alter bis zu 12 Jahren.

Die Regelungen passen nicht hundertprozentig zu dem erforderlichen Schutz. So ist nicht recht einzusehen, weshalb Sport dann, wenn es ums Geldverdienen geht, zulässig bleibt, und dann, wenn es um Teilhabe am Leben geht wie beim Behindertensport, verboten bleibt. Das ist umso unverständlicher, als es beim Behindertensport um einen Ausgleich für die körperlichen Einschränkungen geht. Wenn Profiligen und Berufssportler sowie Kaderathleten unter Einhaltung von Hygieneregeln Sport betreiben können, ist nicht zu erkennen, weshalb dies für Kleinstgruppen behinderter Sportler nicht entsprechend gilt. Logisch wäre es gewesen, einheitliche Schutz- und Hygienekonzepte für Berufssportler und Behindertensportler vorzuschreiben.

Von besonderer Brisanz sind die Einschränkungen beim Behindertensport. Behindertensport findet häufig in Gruppen statt, zum Beispiel Goalball, Fußball, Rollball, Blindenfußball, Basketball, SledgeHockey, Doppel beim Tennis oder Tischtennis. Die Behinderten haben nicht so einfach die Möglichkeit wie andere Bürgerinnen und Bürger, Sport nur für die eigene Person auszuüben.

Die Teilhabemöglichkeit am Leben, die sie bisher durch Gruppensport gehabt haben, wird ihnen genommen. Das mag für kürzere Zeit zuzumuten sein. Auf lange Sicht halte ich das Verbot des Behindertensports für eine Benachteiligung, die mit Art.3 Abs.3 Satz 2 GG nicht vereinbar ist. In Art.3 Abs.3 Satz 2 heißt es: „Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden“. Das bedeutet nicht nur, dass Behinderte und Nichtbehinderte rechtlich gleich zu behandeln sind. Eine verbotene Benachteiligung liegt auch bei Maßnahmen vor, die die Situation von Behinderten wegen ihrer Behinderung verschlechtern. Das ergibt sich für mich aus einem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 30. Januar 2020 (Az. 2 BvR 1005/18). Diese Situation besteht für Behinderte, die anders als Nichtbehinderte von den Ausnahmemöglichkeiten der Infektionsschutzerordnung keinen Gebrauch machen können, weil sie nicht allein joggen, Fahrrad fahren oder ähnliches können. Für sie ist das Sportverbot absolut und damit eine Benachteiligung.

Auch für die Schwimmbäder wird eine Konzeption gefunden werden müssen, die eine Nutzung durch Behinderte (und im Grunde auch für von Behinderung bedrohte ältere Senioren) mit einem strikten Hygienekonzept und einer klaren zeitlichen Trennung von anderen Nutzern ermöglicht. Derzeit dürfen Schwimmbäder zwar für therapeutische Behandlungen genutzt werden, aber ansonsten außer im Unterricht von Schulen nur für Kaderathleten und Berufssportler, § 5 Abs. 9 SARS-CoV-2-Infektionsschutzverordnung.

Schwimmen ist nicht nur für körperlich Behinderte eine der besten Bewegungsmöglichkeiten, sondern auch bei Senioren bis ins hohe Alter häufig die am meisten betriebene Sportart. Ihnen diese Möglichkeit auf längere Dauer zu nehmen, mindert nicht nur Lebensqualität sondern wahrscheinlich auch Lebenserwartung. Da stehen der Schutz der Gesundheit durch Infektionsschutz und der Schutz der Gesundheit durch sportliche Betätigung in Konkurrenz, den die bisherige Infektionsschutzverordnung pauschal zugunsten des Infektionsschutzes regelt. Es bedarf dringend eines Konzepts, das beiden Schutzzielen gerecht wird.

Informationen: Dr. Ehrhart Körting ist Fachanwalt für Verwaltungsrecht. Von 1992 bis 1997 war er Vizepräsident des Verfassungsgerichtshofs Berlin. Anschließend war Herr Dr. Körting in der Politik für die SPD tätig, unter anderem als Senator für Justiz und für Inneres. Ab November 2006 war Innensenator Körting auch für Sport zuständig. Nach seinem Ausscheiden aus dem Senat wurde Herr Körting 2012 zum Präsidenten des Behinderten- und Rehabilitations-Sportverbandes e.V. gewählt. Dieses Amt übte er bis 2018 aus.

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