Behindertenpolitik im Land Berlin

Gerd Miedthank sprach mit dem Vorsitzenden des Berliner Behindertenverbands, Dominik Peter, über die derzeitige Behindertenpolitik im Land Berlin.

BBZ: Coronas vierte Welle schlägt gerade zu. Was denkst Du darüber?

Dominik Peter: Der Verein und die Berliner Behindertenzeitung, die ja ein Wirtschaftsunternehmen ist, sind gut gerüstet. Zum Einen wegen toller Unterstützung aus der Behindertenbewegung. Andererseits durch die Corona-Hilfen, die haben auch uns geholfen. Darüber bin ich sehr, sehr dankbar. Es kann aber nicht sein, dass große Teile der Bevölkerung derartig unsolidarisch sind und wir wegen den Ungeimpften diese vierte Welle ausbaden müssen. Unsere Gesellschaft ist auf Solidarität aufgebaut, dies darf aber keine Einbahnstraße sein. Daher bin ich entschieden für eine Impfpflicht, übrigens seit langem. Wofür ich kein Verständnis habe, dass wir genügend Impfstoff haben, doch es gelingt uns nicht, diesen schnell zu verabreichen. Wir haben eine Notlage, warum können dann nicht auch Apotheker und Zahnärzte piksen. Die Zahnärzte fordern bereits seit längerem, eingebunden zu werden. Hier ärgere ich mich über die Unbeweglichkeit der Politik. Es war sehr leicht vorhersehbar, dass die Impfquote nicht ausreichen wird. Unsere Gesellschaft tickt leider immer weniger solidarisch. Dies zeigen doch bereits die niedrigen Zahlen jener, die einen Organspendeausweis in der Tasche haben.

BBZ: Welche weitere Themen bewegen Dich?

Dominik Peter: Ein selbstbestimmtes Leben in den eigenen vier Wänden wird in Berlin immer schwieriger. Barrierefreie Wohnungen sind Mangelware und bezahlbare sowieso. Wir können jetzt auf die Behindertenkonvention pochen, doch hilft uns das jetzt, hier und effektiv? Nein, hier muss mehr getan werden als bisher und zwar schnell und unkonventionell. Wir sollten dringend auch mal neue Wege beschreiten. Es gibt wunderbare Konzepte, ich nenne nur mal als einen Punkt die Konzepte von Tiny-Wohnungen. Derartige Wohnungsformate gibt es auch in barrierefreier Ausfertigung. Zu diesem Thema gab es sogar eine tolle Ausstellung in Berlin. Doch ich sehe in Berlin keine „Macher“, keine „Umsetzer“. Meine Unterstützung hätte die Realisation derartiger neuer Ideen. Wäre doch allemal besser als den Mangel weiter zu verwalten. 

BBZ: Welche Neuigkeiten gibt es denn beim Berliner Behindertenverband?

Dominik Peter: Der Berliner Behindertenverband ist ein sehr medienaffiner Verein. Neben der Berliner Behindertenzeitung werden wir ab
Februar eine eigene monatliche TV-Sendung mit dem Titel „3M – mitreden, mitdenken, mitentscheiden“ haben. Sie wird auf Alex Berlin ausgestrahlt und sie ist finanziell auf 4 Jahre abgesichert. Das Konzept ist furios, denn wir werden einen Co-Kommentator haben, der nicht sprechen kann. Der Zuschauer wird sich also auf eine spannende unkonventionelle Sendung freuen können.

BBZ: Rückblickend, wie war die Behindertenpolitik der vergangenen Regierung?

Dominik Peter: Natürlich konnte nicht alles umgesetzt werden, denn Corona hat der Politik einiges vermasselt. Die Lage sieht derzeit wie folgt aus: Die Umsetzung des BTHG erfolgte nicht komplett. TiB – die Teilhabeorientierte individuelle Bedarfsermittlung – stockt. Die Umsetzung der Bezirksteilhabebeiräte stockt, das Projekt 250 Inklusionstaxen stockt.
Ich vernehme: allseits macht sich deshalb Unzufriedenheit breit. 

BBZ: Gibt es aus Deiner Sicht auch Positives?

Dominik Peter: Selbstverständlich. Auf der Habenseite haben wir einen neuen Betreiber des Sonderfahrdienstes – nämlich die Firma ViaVan. Wenn dieser Betreiber seine angekündigten Neuerungen dann einmal umgesetzt hat, kann es eine gelungene Sache werden. Ich denke hier beispielsweise an die angekündigte App. Zudem wurden Verbesserungen an der Berliner Bauordnung vorgenommen. Die Quote der zubauenden barrierefreien Wohnungen wurde erhöht. In Trippelschritten bewegte sich auch bei der Bauordnung etwas.

BBZ: Dominik, Danke für das Interview.

Informationen: Dominik Peter arbeitet hauptberuflich als Journalist, ist parteilos und verpartnert. Er gehört seit 2011 dem Vorstand des Berliner Behindertenverbands an. Seit 2013 ist er dort erstmalig zum Vorsitzenden gewählt worden. Zudem ist er seit 2012 Mitglied des Vorstandes des Paritätischen Wohlfahrtsverband Landesverband Berlin. 2015 und 2018 wählten die Vorstandskollegen ihn zum stellvertretenden Vorsitzenden. Ferner ist er Mitglied des Landesbehindertenbeirats, des Teilhabebeirats und des RBB Rundfunkrats (auf Vorschlag der Partei Die Linke).

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