Ute Schnur ist überraschend verstorben

Ute war eine derjenigen, die 1989 politisiert wurden und die – trotz und ungeachtet ihrer Behinderung – aktiv Verantwortung für die Gesellschaft übernommen hat. Es begann konkret am 3. November 1989, als sich ein paar Aktive zusammengesetzt und den Gründungsaufruf für den Berliner Behindertenverband der DDR verfasst haben. Am 4. November war sie zusammen mit ihrem Mann auf der großen Demonstration auf dem Alexanderplatz und traf viele Freunde, am 9. November der Fall der Mauer. Und dann ging es Schlag auf Schlag: 5 Jahre lang Chefredakteurin der Berliner Behindertenzeitung, aktives Mitglied des Behindertenbeirates Prenzlauer Berg, später des Beirates in Pankow, Mitglied der Bezirksverordnetenversammlung (BVV) Prenzlauer Berg bzw. Pankow (Bündnis 90/Grüne), schließlich Stellvertretende Vorsteherin der BVV Pankow. 

Ute stand damals – wie wir alle – als „Anfängerin“ den Herausforderungen und Aufgaben der veränderten Zeit gegenüber: Wie macht man eine Zeitung, die regelmäßig erscheint und die auch interessant ist für Menschen mit und ohne Behinderungen? Wie bringt man die eigenen existentiellen Erfahrungen am besten ein und wie sorgt man dafür, dass Projekte entwickelt und tatsächlich umgesetzt werden – bis hin zum behindertengerechten Stadtbezirk? Was kann man konkret einbringen in die Wahlkämpfe für „Bündnis Prenzlauer Berg“? 

Ich weiß noch, wie wir darüber diskutierten, ob es nicht sinnvoller sei, dass die Stelle des Behindertenbeauftragten durch jemand mit eigener Behinderungs- und Diskriminierungserfahrung und nicht mit einer Person aus dem Personalüberhang besetzt werden sollte. Nicht, dass wir uns missverstehen, 

Utes Interesse und Engagement ging weit über Fragen der Behindertenpolitik hinaus – aber jede/jeder akzeptierte ihre besondere Kompetenz auf diesem Feld.
Erfreulich ist, dass Utes Arbeit auch durch Politik und Gesellschaft anerkannt wurde: 2013 wurde ihr
der Verdienstorden des
Landes Berlin verliehen. Ute Schnur hat gezeigt: „Man kann etwas verändern, wenn man bereit ist, dicke Bretter zu bohren.“ (Klaus Wowereit) Im Frühjahr hatten sich Ute und Stephan schon manches überlegt. Sie würden jetzt mehr Zeit haben:

Ute hatte nicht mehr für die BVV kandidiert, Stephan erreichte das Rentenalter. Es kam anders: Im Juni hatte sich Ute einen komplizierten Armbruch am Schultergelenk zugezogen. Deshalb musste ihr in der Klinik Maria Heimsuchung eine Schultergelenkprothese implantiert werden. Die OP gelang, die Narbe verheilte, doch dann infizierte sich Ute mit einem Multiresistenten Keim. Dieser rief bei ihr eine Lungenentzündung hervor, der sie leider erlag. 

Stephan war am Sonntag, dem 24.07.2022, bis zum Ende der Besuchszeit um 18.00 Uhr bei ihr. Zwei Stunden später erhielt er den Anruf, dass Ute verstorben ist. Stephan und Ute waren ein beindruckendes Team. 

Wir wünschen Stephan sehr, dass er diesen Schicksalsschlag gut übersteht. Wir ehren in Ute Schnur eine Persönlichkeit, – die ungeheure Willensstärke besaß, die ihren Weg machte, sich vielfältig engagierte und die sich nicht so schnell entmutigen ließ, – die auf der Grundlage ihrer eigenen Erfahrungen aus Behinderung und Diskriminierung wichtige Anregungen in Politik und Gesellschaft einbrachte und – die uns angeblich „Nichtbehinderte“ veranlasste, ja unausgesprochen nötigte, unser Verhalten Menschen mit Behinderungen gegenüber zu überprüfen, zu überdenken und gegebenenfalls zu verändern. 

Frau Schnur ist überraschend und unerwartet am Sonntag, dem 24.07.2022, verstorben. Die Trauerfeier
mit anschließendem Urnenbegräbnis findet am Mittwoch, dem 14. September 2022, um 14:00 Uhr, in der Dorfkirche in Berlin-Karow statt.

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