Hass im Netz führt zu Hass auf der Straße
Die Berliner Registerstellen erfassten für das Jahr 2023 insgesamt 5286 Vorfälle (2022: 4156). Der Anstieg betrifft alle inhaltlichen Themenfelder, einzige Ausnahme bildet die Kategorie Rechte Selbstdarstellung. Besonders fiel 2023 auf, dass Dynamiken im Internet, wie Desinformation, Hetze und Propaganda direkte negative Auswirkungen auf Minderheiten in ihrem Alltag haben. In den Themenfeldern LGBTIQ*-Feindlichkeit, Antisemitismus und Rassismus erreichten die Vorfallszahlen ihre bisherigen Höchststände. In diesen Themenfeldern ist der Zusammenhang zwischen Geschehen auf der Straße und Mobilisierungen im Internet besonders deutlich.
Im Durchschnitt wurden pro Tag 14 Vorfälle dokumentiert. Angriffe (2023: 329; 2022: 255) machen 6 Prozent der Gesamtzahl aus. 19 Prozent sind Beleidigungen und Bedrohungen (2023: 1.029; 2022: 657). Fälle von struktureller Benachteiligung haben einen Anteil von 10 Prozent an der Gesamtzahl (2023: 538; 2022: 316). Propaganda ist mit 54 Prozent aller Vorfälle die größte Kategorie (2023: 2.865; 2022: 2.459). Veranstaltungen gehen mit 6 Prozent in die Auswertung ein (2023: 328; 2022: 341), während Sachbeschädigungen (2023: 187; 2022: 117) und Sonstige Vorfälle (2023: 10; 2022: 11) zusammen 4 Prozent der Vorfälle ausmachen.
28 Prozent aller Vorfälle sind rassistisch motiviert (2023: 1.459; 2022: 1.132), 21 Prozent antisemitisch (2023: 1.113; 2022: 810). 13 Prozent waren der Verharmlosung des Nationalsozialismus (2023: 704; 2022: 655) und 15 Prozent der rechten Selbstdarstellung (2023: 787; 2022: 808) zuzuordnen. 10 Prozent der Vorfälle richteten sich gegen politische Gegner*innen (2023: 525; 2022: 407), 9 Prozent waren LGBTIQ*-feindlich motiviert (2023: 464; 2022: 239), 3 Prozent waren behindertenfeindlich (2023: 144; 2022: 56) und je ein Prozent sozialchauvinistisch (2023: 45; 2022: 22) und antifeministisch (2023: 45; 2022: 27). Die Verdopplung der LGBTIQ*-feindlichen Vorfälle (2023: 464; 2022; 239) ist das Ergebnis mehrerer Kampagnen aus den letzten Jahren, die sich gegen die Gleichstellung queerer Menschen richteten. Dazu gehörten im Jahr 2023 der „Stolzmonat“ und die Debatte um das Selbstbestimmungsgesetz. Die Hetze im Netz ist ein Grund für den Anstieg der Zahlen.
Zudem sind queere Menschen und ihre Symbole öffentlich sichtbarer geworden. Es werden Regenbogenfahnen an vielen Orten gezeigt, gleichgeschlechtliche Paare leben offener als früher in den Außenbezirken und haben dort einen Alltag und die Zahl an trans Personen steigt. Dadurch gab es mehr Gelegenheiten sie anzugreifen als in den Vorjahren. Antisemitische Vorfälle stiegen 2023 mit dem Terroranschlag der Hamas auf Israel stark an (2023: 1.113; 2022: 810). 62 Prozent (689) der antisemitischen Vorfälle, darunter 22 Angriffe und fast 200 Beleidigungen / Bedrohungen und 75 Sachbeschädigungen wurden nach dem 7. Oktober erfasst.Die Zahlen in den Innenstadtbezirken sind dabei deutlich höher als an den Rändern der Stadt. Gründe dafür sind, dass in den Innenstadtbezirken Demonstrationen und Kundgebungen stattfinden, auf denen israelbezogener Antisemitismus geäußert wurde. Außerdem existieren in diesen Bezirken mehr jüdische Einrichtungen als in den Randbezirken, die Ziel von Sachbeschädigungen, Bedrohungen und Schmierereien wurden. In den sozialen Netzwerken wurde der Antisemitismus für rassistische Stereotype instrumentalisiert, wie das des „eingewanderten Antisemitismus“. Diese Darstellung verkennt, dass Antisemitismus ein Welterklärungsmodell ist und als Bindeglied unterschiedlicher politischer Spektren fungiert.
Dominik Peter, Vorstandsvorsitzender des Paritätischen Wohlfahrtsverband Landesverband Berlin e.V. meint dazu: „Dies sind besorgniserregende Zahlen für Berlin aber letztendlich war es bei der aktuellen Lage auch zu erwarten. Sie sollten aber auch alle aufrütteln. Jeder von uns ist gefragt, derartige Hetze zu widersprechen“.