Die „Kirchenjule“ und ihre 66 Kirchen

Wenn Sie auf dem Antonplatz stehen und Richtung Westen schauen, werden zur rechten Seite des Kinos in der Ferne einen hohen Turm erblicken. Dort ist der „Mirbachplatz“. Dieser Turm, auch „Betanienturm“ genannt, ist der Rest der „Bethanienkirche“.

Er ist eng mit der Geschichte einer Frau verbunden, die von den Berliner mit mehr oder weniger Respekt „Kirchenjule“ genannt wurde und die Silhouette von Berlin Ende des 19. Jahrhunderts und Anfang des 20. Jahrhunderts geprägt hat. Denn diese Frau ließ allein in Berlin 66 Kirchen errichten.Nun fragen Sie sicherlich wer diese „Kirchenjule“ war? Ihr voller Name war Auguste Viktoria Friederike Luise Feodora Jenny von Schleswig-Holstein-Sonderburg-Augustenburg. Sie war die letzte deutsche Kaiserin und galt zu ihrer Zeit als die meistfotografierteste Frau der Welt. Als Kaiserin Auguste Viktoria 1921 in „Haus Doorn“ in den Niederlanden starb und im „Antikentempel“ im Park von Schloß Sanssouci beigesetzt wurde, nahmen tausende von ehemaligen Untertanen Abschied von ihr.

Kaiserin Auguste Viktoria war ein zwiespältiger Charakter. Auf der einen Seite war sie sehr sozial und auf der anderen Seite im Denken veraltet und elitär. So wird ihr von einigen Historikern, der Untergang des Kaiserreiches zugeschrieben, weil sie ihrem Mann, Wilhelm II., beschwor nicht den erwachten demokratischen Kräften nach zu geben und in Amt zu bleiben. Denn sie sah das deutsche Kaisertum als gottgewollt an. Das führte dazu, das der Kaiser abdanken musste und nie mehr nach Deutschland zurückkehren durfte. Die Kaiserin war seit Beginn 20. Jahrhunderts sowas wie die graue Eminenz im deutschen Kaiserreich. Auf der anderen Seite war die Kaiserin auch sehr sozial engagiert. Sie sah, was los war im aufstrebenden Kaiserreich. Sie sah die Armut und durch ihre sehr fromme kirchliche Erziehung tat sie Gutes. So kam die Kaiserin auch auf die Idee den Kirchenbau voranzutreiben, damit ihre Untertanen geistliche Erbauung empfangen konnten. 

Wie gesagt 66 Kirchen in Berlin gehen auf ihre Initiative zurück. Wie die einstige „Bethanienkirche“ am Mirbachplatz. Die am 26. Oktober 1902 im Beisein des Regentenpaares eingeweiht wurde. Wenn Sie heute einen Spaziergang zu all den noch existierenden Kirchen machen wollen, welche die „Kirchenjule“ und ihr Mann eingeweiht haben, dann haben sie einen sehr sehr langen Spaziergang vor sich, quer durch Berlin. Fast alle Kirchen, die in Verbindung mit Auguste Viktoria und dem von ihr ins Leben gerufenen „Kirchenbauverein“ stehen, waren mit roten Backsteinen errichtet worden. So die „Erlöserkirche“ in Rummelsburg, die „Immanuelkirche“ an der Prenzlauer Allee oder die Kirche „Zum Guten Hirten“ in Berlin Friedenau. Gehen wir noch mal zurück zu den Überresten der „Bethanienkirche“ am Mirbachplatz. Wenn man sich diese Ruine anschaut, muss es ein sehr großer Kirchenbau gewesen sein. Nachdem sie errichtet worden war, war das Gotteshaus mit seinem 65 Meter hohen Turm, ein Wahrzeichen von Weißensee. Im Gegensatz zu anderen Kirchen, wie z. B. der „Gethsemanekirche“ im heutigen Helmholzkietz, unweit der Schönhauser Allee, oder der „Lutherkirche“ in Schöneberg, wirkte der Glockenturm der „Bethanienkirche“ ziemlich klobig und nicht so elegant wie die Türme den anderen Kirchen. Wenn Sie sich alte Fotos der Weißenseer Kirche anschauen, als sie #noch in voller Pracht in den Himmel ragte, wirkt dieser Bau mächtiger als andere Bauten ihrer Art in Berlin. Es scheint fast so, als käme er aus dem Mittelalter.

Sie merken, es könnte interessant werden, wenn Sie sich auf die Spuren der „Kirchenjule“ durch Berlin begeben. Ach übrings: Ich glaube, sie wusste, wie sie im Volke genannt wurde. Denn der Kaiserin wurde viel zugetragen. Doch darüber hat die „Kirchenjule“ bestimmt majestätisch hinweg gelächelt.

Informationen:
„Bethanienturm“ am Mirbachplatz
Mirbachplatz, 13086 Berlin

Wegbeschreibung:
Am Antonplatz aussteigen und dann rechts am Kino Toni vorbei und die Max-Steinke Straße immer geradeaus. Ihr Ziele haben sie den ganzen Weg vor Augen. (ca. 600 m).
Am „Mirbachplatz“ gibt es verschiedene gastronomische Einrichtung, die momentan wegen Corona geschlossen sind. Mein Tipp ist die „Schwäbische Bäckerei Sporrys“ am Mirbachplatz, Schönstraße 1. Auch während der Corona-Beschränkungen geöffnet und man kann sich eine schmackhafte Wegzehrung holen.

Tram: Station. Antonplatz: M4, M13, M12

Bus: Linie 158, 255: Haltestelle Mirbachplatz

Der Belin Flaneur im Internet:
Website: www.derberlinflaneur.de
Instagram:  #derberlinflaneur
Kontakt: info@derberlinflaneur.de

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