Junge Selbsthilfe im Land Berlin
Das Projekt Junge Selbsthilfe Berlin Mitte ist im Jahr 2012 entstanden. Die Überalterung in vielen Selbsthilfegruppen und – verbänden lies vermuten, dass junge Menschen, die Selbsthilfegruppen für sich nutzen wollten, scheinbar andere Formen des Angebots brauchen. Häufig kamen junge Menschen zu einer Beratung in die Selbsthilfe- Kontakt- und Beratungsstelle Berlin Mitte (SHK Mitte), die im Anschluss der Beratung eine Selbsthilfe besuchten. Leider blieben die jungen Menschen oft nicht lange in den bestehenden Selbsthilfegruppen.
Die Mitarbeitenden der SHK Mitte sahen hier Handlungsbedarf und stellten 2012 einen Projektantrag bei der AOK Nord Ost für eine weitere Arbeitskraft die ihren Fokus ausschließlich auf die „jungen Selbsthilfe“ richten sollte. Diese Stelle wurde von der Kollegin Franziska Leers besetzt, welche als Ansprechpartnerin fungierte. Gemeinsam wurden Angebote mit und für jungen Menschen in Selbsthilfegruppen geschaffen, die zum größten Teil heute noch bestehen.
Warum braucht es ein Projekt „Junge Selbsthilfe“?
Es gibt mehrere Gründe, warum es das Projekt „Junge Selbsthilfe“ braucht. Ein gravierender Grund ist, wie bereits erwähnt, die Überalterung in der Selbsthilfewelt. Junge Menschen wurden durch Beratungsgespräche in bestehende Selbsthilfegruppen vermittelt. Viele Vermittlungen waren erfolgreich, allerdings gab es immer wieder Rückmeldungen von jungen Menschen, dass sie sich zwar in den Gruppen willkommen fühlen, sich aber auf Grund des hohen Altersunterschieds zu den anderen Gruppenteilnehmenden nicht mit deren Themen identifizieren konnten. Die Identifikation mit Anderen ist jedoch ein wesentlicher Indikator für den Erfolg von Selbsthilfegruppen.
Ein weiterer Aspekt ist die Tatsache, dass junge Menschen das Konzept der Selbsthilfe anders nutzen wollen. Zwar steht der Austausch nach wie vor im Vordergrund, es werden aber gerne auch andere Formate gewählt. So gibt es beispielsweise die Selbsthilfegruppe „MutArt Labor“. Hier treffen sich Menschen mit Psychose Erfahrungen, um gemeinsam Improvisationstheater zu spielen. Die Gruppe tritt mittlerweile auch öffentlich auf. Ein weiteres Format findet sich in einer jungen Gruppe, die sich seit 2010 zum Thema „Soziale Ängste“ trifft. Auch hier wird sich ausgetauscht, wobei regelmäßig praktische Übungen durchgeführt werden, die dazu dienen, Ängste zu überwinden.
Welche Aktivitäten gibt es in Berlin/bundesweit?
Mittlerweile gibt es knapp 60 junge Selbsthilfegruppen zu ganz unterschiedlichen Themen in Berlin. Eine Übersicht gibt es in der Datenbank von Sekis Berlin. Seit 2013 den Berliner Stammtisch der Jungen Selbsthilfe. Jeden letzten Dienstag im Monat treffen sich junge Menschen in einem Cafe, um sich gemeinsam in einer lockeren Atmosphäre zu Themen rund um die Selbsthilfe auszutauschen. Der Stammtisch ist auch als niedrigschwelliges Erstangebot für junge Menschen zu verstehen, die noch keine Erfahrungen mit Selbsthilfegruppen haben. Ein Vorteil des Stammtisches ist, dass man nicht verbindlich in einer Gruppe sein muss. Es gibt den Newsletter der Jungen Selbsthilfe Berlin, mit mittlerweile mehr als 500 Abonnenten. Seit 2013 werden interaktive Workshops an drei Hochschulen in Berlin durchgeführt. Studierende der Sozialen Arbeit, Heilpädagogik und aus dem Pflege und Gesundheitswesen erhalten einen Einblick in das Angebot von Selbsthilfegruppen. Das Besondere an den Workshops ist, das junge Selbsthilfeaktive die Workshops mitgestalten, indem sie mit vor Ort sind und von ihren Erfahrungen in einer Selbsthilfegruppe berichten. Mittlerweile haben über 1000 Studierende diese Workshops besucht.
Es gibt den Arbeitskreis Junge Selbsthilfe. Hier treffen sich Mitarbeitende aus Berliner Selbsthilfe, Kontakt und Beratungsstellen, um gemeinsam die Junge Selbsthilfe zu stärken und zu unterstützen.Auch bundesweit ist die Junge Selbsthilfe aktiv. Es gibt das jährlich stattfindende Bundestreffen der Jungen Selbsthilfe. Im Jahr 2019 ist der Blog „Lebensmutig“ entstanden. Junge Selbsthilfeaktive aus ganz Deutschland schreiben ihre Sicht zu Themen, die jeden Monat einen anderen Schwerpunkt haben. Die NAKOS ist die Ansprechpartnerin für die Junge Selbsthilfe auf Bundesebene.
Wie siehst Du die Zukunft der Selbsthilfe allgemein?
Ich denke, es wird zunehmend wichtiger, dass Selbsthilfegruppen auch für Menschen unter 18 Jahren unter Berücksichtigung der gesetzlichen Rahmenbedingungen angeboten werden können. Die Menschen, die im psychosozialen Bereich Hilfe brauchen, werden immer jünger. Die Selbsthilfe trägt wesentlich zur Entstigmatisierung bei. In unserer Gesellschaft gibt es heute mehr Bereitschaft, offen über eigene Schicksalsschläge oder auch Krankheiten zu sprechen, als das noch vor zwanzig Jahren der Fall war. Dies lässt sich ganz besonders im Bereich der psychosozialen Themen beobachten. Aktuell lässt sich nur schwer etwas über die Zukunft der Selbsthilfe sagen. Eins ist aber sicher: Sie wird immer bestehen bleiben und sich immer wieder neu erfinden.