„Ob Jung oder Alt – man hat die gleichen Gefühle“

Die WIR-Redaktion hat in seiner Ausgabe 1/2020 sechs einfühlsame Portraits zum Thema „Selbstbestimmt im Alter“ veröffentlicht, die wir als unbedingt lesenswert erachten. Im kollegialen Einverständnis mit der WIR-Redaktion, den Autoren und dem Fotografen Andi Wieland drucken wir diese Portraits als Serie ab. Herzlichen Dank an unsere WIR-Kollegen.

Ich werde 104 Jahre alt!

Christel Wittek ist ein gelassener Mensch, nahezu unerschütterlich. Die Ur-Berlinerin ist in Berlin-Siemensstadt aufgewachsen und oft umgezogen. „Wir waren vier Kin- der und wurden evakuiert wegen der Bomben, zuerst nach Ostpreußen und dann, als die Russen kamen, nach Eise- nach“, erzählt sie. Ihre Mutter schickte Christel Wittek nicht in die Schule. Es waren im Krieg und auch danach kaum Lehrer da. „Ich habe gleich mit der 3. Klasse angefangen, bin nach der 9. Klasse abgegangen und habe meine kaufmännische Lehre gemacht“, fasst sie ihre Schul- und Lehr- zeit zusammen. Jahrelang hat Christel Wittek bei Siemens als Rundfunkprüferin gearbeitet. „Eigentlich ist Technik nicht so meins, aber ich habe gut verdient“, lautet ihr trockener Kommentar zu ihrer Zeit dort. Es folgten Heirat und die Geburt von vier Kindern. Eine Tochter ist früh verstorben. Zu den mittlerweile erwachsenen Kindern steht Christel Wittek in einem guten Kontakt. „Ich habe zwei Söhne und eine Tochter, die kommen mich ab und zu besuchen. Meine Söhne schauen immer, ob alles in Ordnung ist. Das sind gutmütige Jungs.“

Das Leben in einer betreuten Wohngemeinschaft

Mit 55 Jahren kam der Rollstuhl. Es folgte der Umzug in eine betreute Wohngemeinschaft der Fürst Donnersmarck-Stiftung in Berlin-Neukölln. Hier in der WG ist sie die Älteste. In der Wohnung nutzt Christel Wittek den Rollator. Außerdem backt sie gerne Kekse und Kuchen. „Ich fühle mich noch gar nicht wie 81 Jahre“, sagt sie. „Es ist manchmal ganz gut, sich jünger zu fühlen, dann ist man nicht so vorsichtig, wie man das eigentlich sein sollte, denn ich bin schon oft hingefallen“, überlegt sie weiter und lacht. Sorgen, wie es weitergeht, macht sie sich keine. „Ich weiß noch nicht, wie lange ich hier wohnen bleiben kann, ich lasse die Frage auf mich zukommen.“ Sie hilft im Haushalt und freut sich immer auf den Mittwoch. Da fährt Christel Wittek in die Villa Donnersmarck in die Spielegruppe. Denkspiele und Kreuzworträtsel sind ihr Gehirnjogging. „Das hält mich fit.“

Mit 104 muss ich vielleicht vorsichtiger werden, vorher nicht

Das Altwerden gehört zum Leben dazu, meint Christel Wittek. „Ich werde alt, da kann man nicht mehr alles so wie in jüngeren Jahren, aber das muss man so hinnehmen“, sagt sie schlicht. Gibt es etwas, was sie anders machen würde, wenn sie die Wahl erneut hätte? „Keinen Alkohol trinken. Meine Behinderung habe ich davon.“ Doch sie blickt nach vorne. 104 Jahre alt möchte sie werden und verrät uns auch den Grund: „Mein Großvater ist 103 Jahre alt geworden, den will ich unbedingt übertrumpfen.“ Dafür hat Christel Wittek 23 Jahre lang Zeit. Wer sie erlebt, kann sich gut vorstellen, dass es ihr gelingen wird.

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