Chancen für ein gutes Gesetz nutzen

Barrierefreiheit sollte nicht nur bei Sonntagsreden im Munde geführt, sondern endlich umfassend gesetzlich vorgeschrieben werden. Ein guter Zeitpunkt dafür ist nun gekommen. Voraussichtlich noch vor der Sommerpause steht im Bundestag ein Gesetzentwurf zur Abstimmung an, mit dem die Barrierefreiheit entscheidend verbessert werden könnte. Vor allem müssen endlich auch die Anbieter von privaten Dienstleistungen und Produkten zur Barrierefreiheit verpflichtet werden, fordert Interessenvertretung Selbstbestimmt Leben in Deutschland (ISL).

Während der Corona-Pandemie dürfte fast allen klar geworden sein, wie wichtig die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben ist. Während die pandemiebedingten Beschränkungen hoffentlich bald wieder aufgehoben werden können, bleiben für behinderte Menschen jedoch die meisten Barrieren bestehen. Barrieren, die Menschen mit ganz unterschiedlichen Beeinträchtigungen schon viel zu lange von einer gleichberechtigten Teilhabe abhalten und sie behindern. Deshalb sollten wir die Chance nutzen, uns dafür einzusetzen, dass Barrierefreiheit endlich umfassend, also auch für den privaten Bereich, gesetzlich festgeschrieben wird und Verstöße sanktioniert werden. Eine solche Chance bietet sich nun vor der Bundestagswahl mit der Umsetzung des Europäischen Barrierefreiheitsgesetzes (European Accessibility Act – EAA). 

Die Bundesregierung will dieses Gesetz noch in dieser Legislaturperiode verabschieden. Und das ist auch gut so, denn bis zum 28. Juni 2022 müssen die europäischen Regelungen in deutsches Recht umgesetzt sein. Sonst drohen Strafen von seiten der Europäischen Union. Beim Gesetz zur Umsetzung des EAA in Deutschland ist es wichtig, dass die von der Europäischen Union vorgeschriebenen Anforderungen an die Barrierefreiheit konsequent um-gesetzt und deren Einhaltung entsprechend überwacht wird. 

Was ist zu beachten?

Dabei muss man allerdings wissen, dass sich die verbindlichen Regelungen des EAA hauptsächlich nur auf den digitalen Bereich beziehen. Das betrifft unter anderem die Zugänglichkeit zu Geldautomaten und Bankdienstleistungen, die Barrierefreiheit von E-Books, Computern, Unterhaltungselektronik sowie den Onlinehandel oder die Nutzung der einheitlichen europäischen Notrufnummer 112. Solche Regelungen sind längst überfällig und enorm wichtig, lassen aber einen Großteil der Barrieren außer Acht. 

Gerade die vielen Barrieren sozusagen vor unserer Haustür –  beim Zugang zum Bäcker, im Supermarkt, in den Kinos oder bei Gaststätten und kulturellen Einrichtungen -, die uns den Zugang erschweren oder gar verhindern, müssen ebenfalls beseitigt werden. Und dafür braucht es weitere eindeutige gesetzliche Regelungen. Private Anbieter von Dienstleistungen und Produkten sind bisher nämlich nicht zur Barrierefreiheit verpflichtet. Das muss sich ändern und hierfür müssen wir uns in den nächsten Wochen engagiert einsetzen. 

Ein breites Bündnis von Verbänden, in dem sich auch der Berliner Behindertenverband engagiert, hat sich zu einer Kampagne für ein gutes Barrierefreiheitsrecht zusammengeschlossen. Wir müssen den Bundestagsabgeordneten gerade vor der anstehenden Bundestagswahl klar machen, dass wir endlich umfassende Regelungen zur Barrierefreiheit brauchen. Am Protesttag am 5. Mai gilt es zudem, unsere Forderungen lautstark zu bekräftigen. 

Link zur Kampagne für ein gutes Barrierefreiheitsrecht: www.barrierefreiheitsgesetz.org 

Über den Autor: Ottmar Miles-Paul ist seit vielen Jahren ein Protagonist der Behindertenbewegung. Er bringt sich aktiv bei diversen Vereinen ein. Dies sind etwa Interessenvertretung Selbstbestimmt Leben in Deutschland – ISL e.V., Kobinet Nachrichten oder Bifos.

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Dieser Artikel wurde im Rahmen des Projekts „Fit in Medien“ veröffentlicht.

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